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Für die meisten Leute bedeutet Trinken Geselligkeit, Kameradschaft und lebhaft angeregte Phantasie. Es bedeutet Befreiung von Sorgen, Langeweile und Kummer. Es ist das fröhliche
Zusammensein mit Freunden und gibt das Gefühl, das Leben sei gut. Bei uns war das in der Schlußphase unseres schweren Trinkens nicht mehr so. Der Spaß früherer Tage
kam und kam nicht mehr. Nur Erinnerungen blieben. Nie gelang es uns, die schönen Stunden der Vergangenheit zu wiederholen. In uns war eine einzige große Sehnsucht, das Leben so
wie früher zu genießen. Um das zu erreichen, klammerten wir uns wie besessen daran, durch ein Wunder diese Fähigkeit zum kontrollierten Trinken wieder zu erlangen. Es gab
immer wieder einen neuen Versuch - und einen neuen Fehlschlag.
Je weniger die Leute uns tolerierten, um so mehr zogen wir uns von der Gesellschaft, vom Leben selbst zurück. Wir wurden Untertanen des Königs Alkohol, zitternde Einwohner
seines verrückten Reiches. Der kalte Nebel der Einsamkeit senkte sich über uns. Er wurde immer dicker und schwärzer. Einige von uns suchten in finsteren Kneipen
Verständnis, Kameradschaft und Bestätigung. Für einen Moment schien das sogar zu gelingen - doch für den Rest fehlt uns jede Erinnerung. Das Erwachen war grausam,
angesichts der vier apokalyptischen Reiter: Terror, Bestürzung, Frustration und Verzweiflung. Unglückliche Trinker, die diese Seite lesen, verstehen, wovon wir sprechen!
Ein schwerer Trinker sagt hin und wieder, wenn er mal trocken ist: "Ich vermisse den Alkohol überhaupt nicht. Ich fühle mich wohler und arbeite
besser. Das Leben macht mir Spaß." Als Ex-Alkoholiker lächeln wir über einen derartigen Gedanken. Wir wissen, daß sich unser Freund so verhält wie der Junge,
der im Dunkeln pfeift, um sich Mut zu machen. Unser Freund betrügt sich selbst. In seinem Inneren würde er alles dafür geben, wenn er ohne nachteilige Folgen ein halbes
Dutzend Schnäpse trinken könnte. Er wird bald das gleiche Spielchen wieder versuchen, denn sein Nichttrinken macht ihn nicht glücklich. Ein Leben ohne Alkohol kann er sich
nicht vorstellen. Eines Tages wird er sich das Leben überhaupt nicht mehr vorstellen können - weder mit noch ohne Alkohol. Dann wird er die Einsamkeit so kennenlernen, wie nur
wenige sie kennen. Er wird bereit sein zum Sprung in den Abgrund. Er wird das Ende herbeiwünschen.
Wir haben beschrieben, wie wir da herausgekommen sind. Du sagst: "Na gut, ich will ja. Aber werde ich damit nicht zu einem Leben verurteilt, in dem ich stumpfsinnig, langweilig und
mürrisch sein muß wie einige Tugendbolde, die ich kenne? Ich weiß, daß ich ohne Alkohol auskommen muß, aber wie kann ich das? Habt ihr einen vollwertigen
Ersatz dafür?"
Ja, dafür gibt es Ersatz, und es ist weit mehr als das. Es ist die Kameradschaft [fellowship] in Alkoholiker Anonymus. Dort wirst du Befreiung von Sorgen, Langeweile und Kummer
erfahren. Deine Phantasie wird angefeuert. Dein Leben bekommt endlich einen Sinn. Die schönsten Jahre deines Lebens liegen noch vor dir. So erleben wir diese Gemeinschaft, und dir
wird es genauso ergehen.
"Wie stelle ich das an?" fragst du: "Wo kann ich diese Leute finden?" Du wirst diese neuen Freunde in deiner eigenen Umgebung finden, in deiner Stadt, in
deiner Gemeinde. Nicht weit von dir sind Alkoholiker hilflos zum Sterben verurteilt wie Menschen auf einem sinkenden Schiff. Wenn du in einer größeren Ortschaft wohnst, sind es
Hunderte. Das sollen deine Weggefährten werden. Groß und klein, arm und reich, das sind zukünftige Mitglieder von Alkoholiker Anonymus. Unter ihnen wirst du Freunde
fürs Leben finden. Neue und wunderbare Beziehungen werden dich mit ihnen verbinden. Gemeinsam werdet ihr dem Unheil entkommen, und Schulter an Schulter brechen wir auf zu der
gemeinsamen Reise. Dann wirst du erfahren, was es heißt, etwas von sich selbst zu geben, so daß andere überleben und das Leben neu entdecken können. Dann wirst du
die volle Bedeutung des Wortes erkennen können: "Liebe deinen Nächsten wie dich selbst."
Es mag unglaublich erscheinen, daß diese Menschen je wieder glücklich, geachtet und nützlich werden. Wie können sie aus solchem Elend, aus solcher Schande und
Hoffnungslosigkeit herausfinden? Die praktische Antwort lautet: Diese Dinge sind unter uns geschehen, sie können sich wiederholen. Wenn dieser Wunsch für dich an erster Stelle
steht, und wenn du dir unsere Erfahrung zu eigen machen willst, sind wir sicher, daß es so kommt. Auch heute geschehen noch Wunder. Unsere eigene Genesung ist Beweis dafür!
Wir hoffen, daß dieses bescheidene Buch in einer Flut von Alkoholismus für viele verzweifelte Trinker zu einem Rettungsring wird, wenn sie die darin enthaltenen Ratschläge
[directions] befolgen. Wir sind sicher, daß viele wieder auf die Beine kommen und gehen können. Sie werden sich dann jenen zuwenden, die noch krank sind. Möge die Gemeinschaft Alkoholiker Anonymus auf diese Weise in jeder Stadt [each city] und in jedem Dorf [hamlet] pilzartig aus dem Boden schießen, als Zufluchtsort [haven]
für diejenigen, die einen Ausweg finden müssen.
Im Kapitel "Die Arbeit mit anderen" hast du eine Idee davon bekommen, wie wir auf andere zugehen und ihnen zur Genesung verhelfen. Nehmen wir mal an, daß durch dich etliche Familien
diese neue Lebensweise übernommen haben. Jetzt willst du wissen, wie es von da aus weitergeht. Vielleicht ist es die beste Möglichkeit, eine gewisse Vorstellung davon zu
bekommen, wenn wir einfach mal schildern, wie es bei uns gelaufen ist, wie unsere Gemeinschaft gewachsen ist. Hier ist ein kurzer Überblick:
Vor beinahe vier Jahren [1935] machte einer von uns eine Reise in eine Stadt im Westen [Akron]. Geschäftlich gesehen war die Reise für ihn ein Mißerfolg. Wäre dieses
Unternehmen [enterprise] erfolgreich gewesen, wäre er finanziell wieder auf die Beine gekommen, was ihm damals lebenswichtig erschien. Es endete in einem Rechtsstreit [law suit] und
führte zu nichts. Das Verfahren wurde mit großer Härte und Schärfe ausgefochten.
Bitter enttäuscht, in Mißkredit gebracht und fast pleite, fand er sich an einem fremden Ort wieder. Körperlich noch schwach, weil er erst seit ein paar Monaten trocken
war, sah er, daß er sich in einer gefährlichen Lage befand. Er hätte so gern mit jemand darüber gesprochen, aber mit wem?
Eines trüben Nachmittags lief er in der Hotelhalle auf und ab und machte sich Gedanken, wie er seine Rechnung bezahlen könnte. An einem Ende der Halle befand sich unter Glas ein
Verzeichnis der örtlichen Kirchengemeinden. Am anderen Ende öffnete sich die Tür zu einer einladenden Bar. Er konnte drinnen die fröhlichen Leute sehen. Dort
würde er Gesellschaft und Entspannung finden. Wenn er nicht auch etwas trinken würde, hätte er keinen Mut, eine Bekanntschaft zu knüpfen, und
würde ein einsames Wochenende erleben.
Selbstverständlich konnte er keinen Alkohol trinken: Aber warum sollte er nicht erwartungsvoll an einem Tisch sitzen bei einer Flasche Ginger Ale? War er denn schließlich nicht
schon sechs Monate trocken? Vielleicht aber könnte er auch - sagen wir mal - drei Gläser vertragen, aber nicht mehr! Angst packte ihn. Er bewegte sich auf dünnem Eis.
Wieder war es der alte, trügerische Irrsinn - dieser erste Schluck. Schaudernd wandte er sich ab und ging durch die Halle zu dem Kirchenverzeichnis. Musik und fröhlicher
Lärm drangen immer noch aus der Bar zu ihm herüber.
Aber was war mit seiner Verantwortung gegenüber seiner Familie und gegenüber den Menschen, die sterben würden, weil sie nicht wußten, wie sie gesund werden sollten?
Ja genau, was war eigentlich mit den vielen anderen Alkoholikern? Es mußte viele davon in dieser Stadt geben. Er würde einen Pfarrer anrufen. Seine Gesundheit [sanity] trug den
Sieg davon, und er dankte Gott. Nachdem er aus dem Verzeichnis eine Kirche ausgesucht hatte, ging er in eine Telefonzelle und nahm den Hörer ab.
Er konnte kaum vorhersehen, was diese simple Entscheidung für weitreichende Folgen haben würde. Niemand hätte geglaubt, daß Leben und Glück vieler
rückblickend davon abhingen, daß ein depressiver Mann statt einer Bar eine Telefonzelle betrat. Das Telefonat mit dem Pfarrer brachte ihn schließlich mit einem bestimmten
Einwohner dieser Stadt zusammen, einem früher fähigen und geachteten Mann, der sich dem Tiefpunkt der Verzweiflung eines Alkoholikers näherte. Es war die übliche
Situation: die Familie zerrüttet, die Frau krank, die Kinder vernachlässigt, die Rechnungen unbezahlt und das Ansehen dahin. Der Mann hatte den verzweifelten Wunsch, mit dem
Trinken aufzuhören, sah aber keinen Ausweg, obwohl er schon viele ernsthafte Versuche unternommen hatte, dem Verhängnis zu entrinnen. Es war dem Mann
schmerzlich bewußt, daß er irgendwie abnormal war; er war sich aber nicht voll darüber im klaren, was es bedeutet, Alkoholiker zu sein.
Als unser Freund ihm von seinen Erfahrungen berichtete, gab der Mann zu, daß er nicht für längere Zeit mit dem Trinken aufhören konnte, egal wieviel Willenskraft er
auch heranzog. Eine spirituelle Erfahrung, so räumte er ein, war absolut notwendig. Aber der Preis, den er dafür zahlen müßte, erschien ihm zu hoch [the price seemed
high upon the basis suggested]. Er sagte, er lebe in ständiger Angst vor Gläubigern und anderen, die seinem Alkoholismus auf die Schliche kommen könnten. Natürlich war
er - typisch Alkoholiker - besessen von der fixen Idee, sein Trinken sei nur wenigen aufgefallen. Warum, so argumentierte er, sollte er die Überreste seiner beruflichen Existenz aufs
Spiel setzen und noch mehr Leid über seine Familie bringen? Das schien ihm unausbleiblich, falls er so blöd wäre, Kreditgebern und Kunden zu offenbaren, wie schlimm es
wirklich um ihn stand. Alles würde er tun, sagte er, nur das nicht.
Neugierig geworden, lud er unseren Freund zu sich nach Hause ein. Einige Zeit später, just als er glaubte, den Alkohol im Griff [control] zu haben, ging er auf eine schlimme
Sauftour. Für ihn war es das Besäufnis, das allen Besäufnissen ein Ende setzen sollte. Er sah ein, daß er sich seinem Problem ehrlich stellen mußte, um es mit
Gottes Hilfe zu meistern [that God might give him mastery].
Eines Morgens packte er den Stier bei den Hörnern und erzählte denen, die er fürchtete, welcher Art seine Schwierigkeiten waren. Er wurde überraschend gut aufgenommen
und erfuhr, daß viele über sein Trinken längst Bescheid wußten. Er machte mit dem Auto die Runde und besuchte Menschen, denen er Schaden
zugefügt hatte. Er war nervös, denn es konnte den Ruin bedeuten, besonders bei einem Mann seines Berufs.
Erschöpft, aber sehr glücklich kam er um Mitternacht heim. Er hat seitdem keinen Alkohol mehr getrunken. Wie wir sehen werden, gilt er jetzt viel in seiner Gemeinde. Die
Hauptschäden aus dreißig Jahren harten Trinkens waren nach vier Jahren repariert.
Doch das Leben war für die beiden Freunde nicht einfach. Sie wurden vor viele Schwierigkeiten gestellt. Beide erkannten, daß sie spirituell aktiv bleiben mußten. Eines
Tages riefen sie die Oberschwester eines örtlichen Krankenhauses an. Sie erklärten ihre Not und erkundigten sich, ob es dort einen Vollblut-Alkoholiker gebe.
Sie antwortete: "Ja, wir haben so ein Prunkstück. Er hat gerade ein paar Krankenschwestern verprügelt. Er rastet total aus, wenn er besoffen ist. Nüchtern ist er ein prima
Kerl. In den letzten vier Monaten war er sechsmal hier. Sie müssen wissen, daß er einmal ein bekannter Rechtsanwalt in unserer Stadt war, aber jetzt haben wir ihn
festgeschnallt."
Hier war jemand, der in Frage kam, der Beschreibung nach war er aber nicht sehr vielversprechend. Wir verstanden es damals noch nicht so gut wie heute, in solchen Fällen spirituelle
Prinzipien anzuwenden. Dennoch sagte einer der beiden Freunde: "Legt ihn privat ins Einzelzimmer, wir kommen."
Zwei Tage später starrte ein zukünftiges Mitglied von Alkoholiker Anonymus mit glasigen Augen auf die Fremden an seinem Bett und fragte: "Was seid
ihr für Leute? Was soll das hier mit dem Privatzimmer? Ich war vorher immer im Saal."
Sagt einer der Besucher: "Wir werden deinen Alkoholismus behandeln."
Die Hoffnungslosigkeit stand tief im Gesicht des Mannes geschrieben, als er entgegnete: "Ach, das hat ja doch keinen Sinn. Mir kann nichts mehr helfen. Ich bin abgeschrieben. Die letzten
drei Mal hab' ich's nach der Entlassung hier nicht mal bis nach Hause geschafft, ohne mich wieder zu besaufen. Ich hab' schon Angst, aus der Tür zu gehen. Ich weiß auch nicht,
warum, ich versteh's einfach nicht." Eine Stunde lang erzählten die zwei Freunde von ihren Erfahrungen mit dem Trinken. Immer und immer wieder rief er dazwischen: "Ich auch. Das bin
ich. Genauso hab' ich getrunken!"
Der Mann im Bett [the man in the bed] erfuhr von der akuten Vergiftung, unter der er litt, wie sie den Körper eines Alkoholkranken zerstört und sein Denken [mind] verwirrt. Es
wurde viel über die geistige Verfassung [mental state] gesprochen, die dem ersten Schluck vorausgeht.
"Ja, das bin ich", sagte der kranke Mann, "genau mein Ebenbild. Ihr wißt genau, wovon ihr redet, aber ich kann mir nicht vorstellen, was es bringen soll. Ihr seid wer. Ich war es
einmal, aber jetzt bin ich ein Niemand. Nach allem, was ihr mir erzählt, weiß ich jetzt mehr denn je, daß ich nicht aufhören kann." Die beiden Besucher fingen wie
auf Kommando an zu lachen. - "Ich find' das gar nicht lächerlich, verdammt nochmal!" schmollte der zukünftige Freund von Alkoholiker Anonymus.
Die zwei Freunde sprachen von ihrer spirituellen Erfahrung und erzählten ihm, welches Aktionsprogramm sie durchlaufen hatten.
Er unterbrach sie: "Früher war ich sehr für die Kirche, aber das hilft nicht. Wenn's mir morgens dreckig ging, hab' ich zu Gott gebetet und geschworen, daß ich nie mehr
einen Tropfen anrühre. Aber spätestens um neun war ich schon wieder voll wie eine Strandhaubitze."
Am nächsten Tag war er schon aufnahmebereiter. Er hatte über alles nachgedacht. "Vielleicht habt ihr recht," sagte er, "für Gott sollte eigentlich alles möglich sein."
Dann fügte er noch hinzu: "Mir hat er aber nicht geholfen, als ich versucht habe, allein gegen die Trinkerei anzukämpfen."
Am dritten Tag übergab der Rechtsanwalt sein Leben der Sorge und Führung [care and direction] seines Schöpfers und sagte, daß er uneingeschränkt bereit sei,
alles, alles zu tun, was notwendig sei [perfectly willing to do anything necessary]. Seine Frau kam. Sie wagte kaum zu hoffen, obgleich sie meinte, schon eine Veränderung an ihrem
Mann feststellen zu können. Er hatte bereits begonnen, eine spirituelle Erfahrung zu haben. Noch am gleichen Nachmittag packte er seine Sachen und verließ das Krankenhaus als
freier Mann. Er engagierte sich im Wahlkampf, hielt Reden, besuchte Veranstaltungen aller Art und blieb oft die ganze Nacht wach. Er verlor die Wahl nur knapp. Aber er hatte Gott gefunden
- und indem er Gott fand, fand er sich selbst.
Das war im Juni 1935. Er trank nie wieder. Auch er wurde ein geachtetes und nützliches Mitglied seiner Gemeinde. Er hat anderen Menschen zur Genesung verholfen und ist ein Kraftquell
in seiner Kirchgemeinde, der er so lange ferngeblieben war.
Wie du siehst, gab es nunmehr drei Alkoholiker in dieser Stadt, die davon überzeugt waren, den anderen das weitergeben zu müssen, was sie gefunden
hatten, wenn sie nicht untergehen wollten. Nach mehreren vergeblichen Versuchen, andere zu finden, tauchte ein vierter auf. Er kam durch einen Bekannten, der die guten Neuigkeiten
gehört hatte. Es stellte sich heraus, daß es ein junger Mann war, der sich den Teufel um irgendwas scherte [a devil-may-care young fellow], weshalb seine Eltern nicht sicher
waren, ob er überhaupt mit dem Trinken aufhören wollte oder nicht. Es waren tief religiöse Leute, die schockiert waren, von der Weigerung ihres Sohnes irgend etwas mit der
Kirche zu tun zu haben. Er litt entsetzlich an den Folgen seiner Sauftouren, aber es schien, als ob man nichts für ihn tun könne. Wenigstens war er bereit, ins Krankenhaus zu
gehen, wo man ihn ins gleiche Zimmer legte, das der Rechtsanwalt erst kurz vorher verlassen hatte.
Er hatte drei Besucher. Nach einer Weile sagte er: "So wie ihr über diesen spirituellen Kram redet, leuchtet mir das ein. Ich bin bereit, mich an die Arbeit zu machen [to do
business]. Meine alten Herrschaften haben wahrscheinlich doch recht gehabt." So war noch einer zur Gemeinschaft [fellowship] hinzugekommen. Während all dieser Zeit war unser Freund,
den wir in der Hotelhalle kennengelernt hatten, in dieser Stadt geblieben. Er war drei Monate dort. Jetzt kehrte er nach Hause zurück. Er ließ seinen ersten Bekannten, ferner
den Rechtsanwalt und den ehemals interesselosen jungen Mann zurück. Diese Männer hatten etwas vollkommen Neues in ihrem Leben gefunden. Obgleich sie wußten, daß sie
anderen Alkoholikern helfen mußten, um selbst nüchtern zu bleiben, wurde dieses [auf Logik und Vernunft gegründete] Motiv bald zweitrangig. Es wurde übertroffen
[transcended] von dem Glück, das sie dabei fanden, daß sie sich für andere hingebungsvoll einsetzten. Sie teilten ihr Heim und ihre schmalen Einkünfte mit den
Leidensgenossen. Sie widmeten ihnen bereitwillig ihre Freizeit. Sie waren Tag und Nacht bereit, einen Neuen ins Krankenhaus zu bringen und ihn anschließend zu
besuchen. Ihre Zahl nahm ständig zu. Sie hatten einige betrübliche Mißerfolge, aber in solchen Fällen versuchten sie, wenigstens der Familie des Mannes einen neuen,
spirituellen Lebensweg aufzuzeigen. So milderten sie Kummer und Leid.
Ein Jahr und sechs Monate später hatten diese drei bei sieben weiteren Erfolg gehabt. Sie sahen sich oft. Kaum ein Abend verging, an dem nicht irgendeine Wohnung ein kleines Meeting
[a little gathering] beherbergte, an dem sowohl Männer als auch ihre Frauen teilnahmen. Sie waren glücklich über ihre Befreiung [vom Alkohol] und ständig darauf
bedacht, ihre Entdeckung an Neue weiterzugeben. Neben diesen häufigen Zusammenkünften [casual meetings], wurde es bald üblich, einen Abend in der Woche freizuhalten
für ein Meeting, an dem auch jedweder Außenstehende und alle, die an einem spirituellen Lebensweg interessiert waren, teilnehmen konnten. Neben Gemeinschaft und Geselligkeit
bestand die Absicht dabei hauptsächlich darin, neuen Leuten zu einer festen Zeit einen Ort zur Verfügung zu stellen, wo sie ihre Probleme hinbringen konnten.
Außenstehende fingen an, sich für uns zu interessieren. Ein Ehepaar [T. Henry und seine Frau Clarace von den Oxford- Gruppen] stellte diesem seltsam zusammengewürfelten
Haufen sein großes Haus zur Verfügung. Die beiden waren bald so begeistert, daß sie ihr Heim der Sache bald ganz überließen. Manch' verstörte Ehefrau hat
dieses Haus aufgesucht und dort Liebe und verständnisvolle Kameradschaft unter Frauen gefunden, die das Problem kannten. Aus dem Munde von Leuten, die genauso waren wie die
Ehemänner dieser Frauen, hörten sie, wie es bei ihnen gelaufen war. Die hilfesuchende Frau erhielt Ratschläge, wie ihr unberechenbarer Partner ins Krankenhaus gebracht
werden konnte und wie er bei seinem nächsten Besäufnis am besten zu behandeln sei.
So mancher Mann, noch benommen von seinem Krankenhauserlebnis, ist über die Schwelle dieses Hauses in die Freiheit gestolpert. Viele Alkoholiker
schneiten dort herein, und viele verließen das Haus mit der Antwort auf ihr Problem in der Tasche. Zum Beispiel kam einmal ein Neuer [zusammen mit seiner Frau] herein. Er konnte
sich der fröhlichen Menge nicht entziehen, die über ihr eigenes Unglück lachte und das seine verstand. Bereits tief beeindruckt durch jene, die ihn im Krankenhaus besucht
hatten, kapitulierte er vollständig, als er später beim Meeting im oberen Stockwerk die Geschichte anderer Männer hörte, deren Erfahrungen seinen eigenen sehr
ähnlich waren. Der Ausdruck in den Gesichtern der Frauen, dieses undefinierbare Etwas in den Augen der Männer, die anregende, elektrisierende Atmosphäre des Ortes
bewirkten, daß er mit einem Mal wußte, daß hier ein sicherer Hafen [haven] für ihn war.
Es war einfach unwiderstehlich, was von diesen Menschen ausging: ihre praktische Art, Schwierigkeiten anzupacken, das völlige Fehlen jedweder Intoleranz, die Ungezwungenheit, die
urwüchsige Demokratie und vor allem das nahezu unbegreiflich tiefe Verständnis, das diese Leute hatten. Er und seine Frau machten sich glücklich auf den Heimweg und
überlegten, was sie jetzt für ihre betroffenen Bekannten und deren Familien tun könnten. Sie wußten, daß sie jetzt eine Menge neuer Freunde hatten, und es kam
ihnen so vor, als hätten sie diese Fremden schon immer gekannt. Sie hatten Wunder gesehen, und eines sollte ihnen widerfahren. Vor allem hatten sie "Die Große Wirklichkeit"
geschaut - ihren liebenden und "Allmächtigen Schöpfer".
Heute kann dieses Haus kaum noch die wöchentlichen Besucher aufnehmen, denn die Zahl beläuft sich in der Regel auf sechzig bis achtzig. Alkoholiker von nah und fern werden
angezogen. Familien aus umliegenden Städten fahren weite Entfernungen, nur um dabei zu sein. Eine Gemeinde, dreißig Meilen entfernt, hat eine Gruppe von
fünfzehn Mitgliedern. Weil es ein größerer Ort ist [Cleveland], nehmen wir an, daß diese Gruppe eines Tages aus mehreren hundert Mitgliedern bestehen wird.
Aber unter [den Prinzipien von] Alkoholiker Anonymus zu leben bedeutet mehr, als nur in Meetings zu gehen und gelegentlich jemand im Krankenhaus zu besuchen. Alte Scharten auswetzen,
Familienzwiste bereinigen, den enterbten Sohn seinen erzürnten Eltern wieder nahebringen, Geld borgen und einander den Arbeitsplatz sichern, wo es gerechtfertigt ist - das alles sind
alltägliche Tätigkeiten bei uns. Keiner ist uns zu verrufen, niemand zu tief gesunken, um nicht herzlich bei uns aufgenommen zu werden - vorausgesetzt, daß er bereit ist,
an seiner Genesung zu arbeiten [if he means business]. Über soziale Unterschiede, kleine Rivalitäten und Eifersüchteleien geht man mit einem Lächeln hinweg. Als
Schiffbrüchige im selben Boot, gerettet und vereint unter einem Gott, sind Herz und Geist eingestimmt auf das Wohl anderer. Da ist all das, was anderen [normalen] Leuten so viel
bedeutet, für sie nicht mehr wichtig. Wie sollte es auch?
Unter nur leicht davon abweichenden Bedingungen vollzieht sich dasselbe in vielen Städten des Ostens der USA. In einer dieser Städte [New York] gibt es ein weithin bekanntes
Krankenhaus für die Behandlung von Alkohol- und Drogenabhängkeit. Vor vier Jahren war einer von uns dort Patient. Viele von uns haben in den Mauern dieses Krankenhauses zum
ersten Mal die Gegenwart und die Kraft Gottes erfahren. Wir stehen tief in der Schuld des dort tätigen Arztes. Obwohl es zum Nachteil für seine eigene Arbeit sein könnte,
hat er uns versichert, daß er an unsere Sache glaubt.
Alle paar Tage schlägt dieser Arzt vor, daß wir uns mit einem seiner Patienten beschäftigen. Das Verständnis für unsere Arbeit läßt
ihn solche Kranken aussuchen, die willens und fähig sind, auf einer spirituellen Grundlage zu genesen. Viele von uns, die früher als Patient dort waren, gehen hin, um zu helfen.
Außerdem gibt es in dieser Stadt Informations- Meetings [informal meetings], wie sie vorher beschrieben worden sind, zu denen im Schnitt dreißig bis vierzig Leute kommen. Dort
ergeben sich ebenso schnell spontane Freundschaften und es herrscht die gleiche Hilfsbereitschaft untereinander, wie man es bei unseren Freunden im Westen findet. Zwischen Osten und
Westen wird viel herumgereist, und wir erwarten eine Zunahme dieses hilfreichen Austausches.
Wir hoffen, daß eines Tages jeder Alkoholiker, der auf Reisen ist, an seinem Bestimmungsort die Gemeinschaft Alkoholiker Anonymus vorfindet. Bis zu einem gewissen Grad trifft das
schon heute zu. Einige von uns sind als Geschäftsleute viel unterwegs. Durch den Kontakt mit unseren zwei größeren Zentren sind kleinere Gruppen [little clusters] von
zwei, drei oder fünf Mitgliedern auch andernorts entstanden. Wer von uns unterwegs ist, besucht diese kleinen Gruppen, so oft er kann. Diese Praxis ermöglicht uns, ihnen helfend
die Hand entgegenzustrecken. Gleichzeitig schützen diese Kontakte auch uns vor Rückfallgefahren, die unterwegs überall lauern, und von denen jeder, der beruflich viel
reisen muß, ein Lied singen kann.
So wachsen wir. Das kann bei dir auch so sein, selbst wenn du nur ein Einzelner mit diesem Buch in der Hand bist. Wir glauben und hoffen, daß es alles enthält, was du brauchst,
um den Anfang zu machen.
Wir wissen, was du jetzt denkst. Du sagst zu dir: "Ich bin zittrig und ganz allein. Ich könnte sowas nicht." Doch, du kannst! Du vergißt nämlich, daß du gerade auf
eine Kraftquelle gestoßen bist, die sehr viel stärker ist als du. Um es nochmal zu sagen: Mit diesem Rüstzeug ist es nur eine Frage der Bereitschaft,
der Geduld und beharrlicher Arbeit, um zu erreichen, was wir bereits geschafft haben.
Wir kennen einen früheren Alkoholiker [a former alcoholic], der in einer großen Stadt wohnte [Montclair]. Schon ein paar Wochen, nachdem er dorthin umgezogen war, stellte er
fest, daß es dort wahrscheinlich mehr Alkoholiker pro Quadratmeile gab als in jeder anderen Stadt des Landes. Das war nur ein paar Tage, bevor diese Zeilen geschrieben wurden. Wegen
des Alkoholproblems waren die Behörden sehr besorgt. Unser Mann trat in Verbindung mit einem bekannten Psychiater, der sich im Auftrag der Stadtverwaltung um die mentale Gesundheit
der Einwohner [mental health of the community] kümmerte. Es stellte sich heraus, daß dieser sehr fähige Arzt außerordentlich daran interessiert war, jede irgendwie
wirksame Methode [workable method] zu übernehmen, um die Situation in den Griff zu bekommen. Er sagte in Übereinstimmung mit vielen seiner wohlinformierten und kompetenten
Fachkollegen, daß er für den Durchschnitts-Alkoholiker nur wenig oder nichts tun könne. Infolgedessen war er neugierig, was unser Freund auf dem Kasten hat.
Unser Freund fuhr fort, ihm davon zu erzählen. Und das mit solchem Erfolg, daß der Doktor einwilligte, es mit seinen Patienten und bestimmten anderen Alkoholikern aus einer
Klinik zu versuchen, in der er als Belegarzt arbeitete. Vereinbarungen wurden auch mit dem Chefarzt der psychiatrischen Abteilung eines großen, öffentlichen Krankenhauses
getroffen, um ständig weitere [Alkoholiker] aus dem Strom des Elends zu fischen, der durch diese Anstalt fließt.
So wird unser arbeitsame Freund bald viele Gefährten haben. Einige von ihnen werden dennoch untergehen und vielleicht nie wieder auftauchen. Wenn unsere Erfahrung gültig ist, dann werden mehr als die Hälfte derer, die angesprochen wurden, Mitglieder [fellows] von Alkoholiker Anonymus. Sobald ein paar Männer in dieser Stadt zu sich
selbst gefunden und entdeckt haben, wieviel Freude es macht, anderen dazu zu verhelfen, dem Leben wieder ins Auge schauen zu können, dann wird es kein Halten mehr geben, bis jeder in
dieser Stadt die Möglichkeit erhält zu genesen - wenn er kann und will.
Immer noch könntest du einwenden: "Aber ich werde nicht das Glück haben, mit euch, die ihr dieses Buch schreibt, persönlich in Kontakt zu treten." Das kann man nie wissen.
Das steht allein in GOTTES Hand, denn du darfst nie vergessen, daß deine eigentliche Stütze immer nur ER sein kann, [niemals einzelne oder eine Gruppe von Menschen,
mögen sie auch noch so nett und hilfsbereit sein.] ER wird dir zeigen, wie du die Gemeinschaft erschaffen kannst [how to create], nach der dich dürstet.
Unser Buch [und unsere Meetings] sind nur als Anregung gedacht. Wir sind uns bewußt, daß wir nur wenig wissen. GOTT wird dir und uns ständig mehr offenbaren. Frage IHN
morgens bei der Meditation, was du jeden Tag für den tun kannst, der noch krank ist. Die Antworten werden kommen, wenn dein eigenes Haus in Ordnung ist. Denn es ist klar, daß
du nichts weitergeben kannst, was du selbst nicht hast. Sieh zu, daß dein Verhältnis zu IHM in Ordnung ist. Dann werden mit dir und vielen anderen wunderbare Dinge geschehen.
Das ist für uns unumstößliche Wahrheit [the Great Fact].
Gib dich ganz in die Hand GOTTES, wie du GOTT verstehst. Gestehe IHM und deinen Freunden deine Fehler ein. Räume die Trümmer aus deiner Vergangenheit beiseite. Gib
freimütig weiter, was du findest, und tu' dich mit uns zusammen. Wir werden mit dir in spiritueller Gemeinschaft verbunden sein, und du wirst bestimmt einigen von uns begegnen auf
dem beschwerlichen Weg zum glücklichen Ziel. Bis dahin möge GOTT dich segnen und behüten.
[Im Buch: Abbildung aus dem Original-Manuskript von 1938]
[Im Buch: Abbildung aus dem Original-Manuskript von 1938]
Stand: 27. Juni 1997
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