daß ich sie weitergeben möchte, so oft ich kann, in der Hoffnung, daß sie einem anderen Menschen genauso hilft wie mir. Wie ich schon vorher erwähnte, waren Selbstmitleid und Groll meine ständigen Begleiter, und meine Inventur sah auf einmal wie ein dreiunddreißig-jähriges Tagebuch aus, weil ich anscheinend gegen jeden Menschen, den ich je gekannt hatte, Haß in mir trug. Bei allen außer einem dieser Gefühle wirkte die in den Schritten empfohlene "Behandlung" sofort, doch dieses eine stellte ein Problem dar. Es war der Haß auf meine Mutter, und er war fünfundzwanzig Jahre alt. Ich hatte ihn genährt, gehegt und gepflegt wie mein liebstes Kind, und er war so sehr ein Teil von mir geworden wie mein eigener Atem. Er hatte mich mit Ausreden für alles versorgt, für meine mangelnde Erziehung, meine gescheiterten Ehen, mein persönliches Versagen, meine Unzulänglichkeit, und natürlich für meinen Alkoholismus. Und obwohl ich wirklich dachte, ich sei bereit gewesen, mich von ihm zu trennen, wußte ich jetzt, daß ich mich sträubte, ihn loszulassen.
Eines Morgens wurde mir dennoch klar, daß ich ihn loswerden mußte, weil meine Gnadenfrist auslief, und wenn ich ihn nicht loswurde, würde ich mich wieder betrinken - und besoffen wollte ich auf gar keinen Fall mehr werden. An diesem Morgen bat ich Gott in meinen Gebeten, er möge mir irgendeinen Weg zeigen, mich von diesem Groll zu befreien. Im Laufe des Tages brachte mir ein Freund ein paar Zeitschriften für die Krankenhaus-Gruppe, bei der ich mitmachte. Ich blätterte sie durch, und die "Schlagzeile" auf einer der Titelseiten brachte den Artikel eines berühmten Geistlichen. Darin stand das Wort "Groll", und ich blieb daran hängen.
Im wesentlichen sagte er: "Wenn Du Groll in Dir trägst, von dem Du frei sein möchtest, und wenn du dann für die Menschen oder die Dinge betest, gegen die Du was hast, dann wirst Du frei sein. Wenn Du in Deinem Gebet darum bittest, daß sie alles bekommen, was Du Dir auch für Dich selber wünschst, dann wirst Du frei sein. Bitte für ihre Gesundheit, ihren Wohlstand, ihr Glück, und Du wirst frei sein. Selbst wenn Du es ihnen nicht wirklich wünschst und Deine Gebete nur Worte sind, die Du gar nicht so meinst, die Dir wie eine Lüge vorkommen - Nur zu! Tu' es trotzdem! Tu' es jeden Tag, zwei Wochen lang, und Du wirst merken, daß es Dir ernst geworden ist und Du es ihnen wirklich wünschst. Du wirst erkennen, daß Du inzwischen Mitgefühl, Verständnis und Liebe empfindest, wo Du früher Bitterkeit, Groll und Haß gefühlt hast." Das wirkte damals bei mir, und seitdem hat es oftmals bei mir gewirkt und wird immer bei mir wirken, wenn ich bereit bin, es wirken zu lassen. Manchmal muß ich erst um die Bereitschaft bitten, aber auch die kommt immer. Und weil es bei mir wirkt, kann es bei jedem von uns wirken. Wie mal jemand gesagt hat: "Praktisch die einzige Freiheit, die der Mensch hat, ist die Einsicht in die Notwendigkeit. Wenn du etwas sowieso tun mußt, solltest du es auch gerne tun. Wer klug ist, empfindet keinen Kummer wegen des Unabänderlichen."
Diese großartige Erfahrung, die mich von der Sklaverei des Hasses erlöste und sie durch Liebe ersetzte, ist eigentlich nur eine weitere Bestätigung der Wahrheit, die ich kenne: Ich bekomme alles, was ich brauche bei A.A. - alles, was ich brauche, bekomme ich - und wenn ich bekomme, was ich brauche, merke ich stets und ohne Ausnahme, daß es genau das ist, was ich die ganze Zeit wollte.
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Stand: 27. Juni 1997