Freiheit von den Fesseln

Freiheit von den Fesseln

Inhalt

[Vorwort]  [Kapitel 1]  [Kapitel 2]  [Kapitel 3]  [Kapitel 4]  [Kapitel 5]  [Kapitel 6]  [Kapitel 7]  [Kapitel 8]  [Kapitel 9]  [Kapitel 10]  [Kapitel 11]  [12 Traditionen]  [Stichwortverzeichnis]


Geschichte

[Doktor Bobs Alptraum]  [Unser Freund aus dem Süden]  [Der Hobby-Braumeister]  [Freiheit von den Fesseln]  [Einsame Bemühung


Diese A.A.-Freundin war noch jung, als sie dazukam, und glaubt, daß ihre schwere Trinkerei die Auswirkung noch tiefer sitzender Mängel war. Sie erzählt hier, wie sie befreit wurde.

Das Kopfkino, das zu meiner Trinkerei führte, begann viele Jahre, bevor ich den ersten Schluck nahm, denn ich bin eine von denjenigen, deren Geschichte schlüssig beweist, daß meine Trinkerei "ein Symptom noch tieferer Störungen" war.

Durch mein Bemühen, den "Ursachen und Umständen" auf den Grund zu gehen, wurde ich überzeugt, daß ich an der Krankheit meiner Gefühle litt, soweit ich mich zurückerinnern kann. Auf keine emotionale Situation reagierte ich je normal.

Die Ärzteschaft würde mir wahrscheinlich sagen, daß die Störungen in meiner Kindheit die Ursache für meinen Alkoholismus waren. Ich bin auch sicher, daß sie aus ihrer Sicht recht hätten, doch bei A.A. habe ich gelernt, daß ich das Ergebnis von der Art und Weise bin, wie ich auf das, was mir als Kind widerfuhr, reagierte. Und was noch viel wichtiger für mich ist, A.A. hat mir beigebracht, daß ich durch dieses einfache Programm eine Veränderung dieser Verhaltens-Schemen erleben kann, die es mir tatsächlich erlauben wird, "Katastrophen mit Gelassenheit zu begegnen".

Ich bin ein Einzelkind, und als ich sieben Jahre alt war, trennten sich meine Eltern ganz abrupt. Ohne jede Erklärung wurde ich aus meinem Zuhause in Florida herausgerissen und zu meinen Großeltern in den mittleren Westen der USA gebracht. Meine Mutter zog in eine nahegelegene Stadt, um dort zur Arbeit zu gehen, und mein Vater, der Alkoholiker war, ging einfach auf und davon. Meine Großeltern waren Fremde für mich, und ich erinnere mich daran, daß ich einsam, verängstigt und verletzt war.

Mit der Zeit kam ich zu folgendem Schluß: Die Ursache für meine Verletzung bestand darin, daß ich meine Eltern liebte, und ich beschloß, daß ich es nie wieder zulassen würde, irgend jemand oder irgend etwas zu lieben, damit ich nie wieder verletzt werden könnte. Es wurde zu meiner zweiten Natur, mich von allem und jedem zurückzuziehen, wenn ich Gefallen daran fand.

Ich wuchs in dem Glauben auf, daß man ein totaler Selbstversorger sein mußte, weil man niemals wagen durfte, von einem anderen Menschen abzuhängen. Ich dachte, das Leben wäre eine wunderschöne einfache Sache; du machtest einfach einen Plan für dein Leben, der darauf beruhte, was du wolltest, und dann brauchtest du nur noch die Courage, um es dir zu holen. Ich dachte, ich wüßte genau, was ich vom Leben wollte und wie man es bekommt.

Am Ende meiner Teenager-Zeit wurde ich mir meiner Gefühle bewußt, die ich nicht mit eingeplant hatte: Rastlosigkeit, Angst, Furcht und Unsicherheit. Die einzige Art von Sicherheit, die ich damals irgendwie kannte, war materielle Sicherheit, und ich kam zu der Überzeugung, daß all diese Eindringlinge sofort verschwinden würden, wenn ich nur eine Menge Geld hätte. Die Lösung schien sehr einfach zu sein. Mit eiskalter Berechnung machte ich mich auf den Weg, um eine gute Partie zu machen, und ich machte mein Glück. Das einzige, was sich dadurch änderte, war allerdings nur meine Umgebung, und es war bald sonnenklar, daß ich die gleichen unangenehmen Gefühle, die ich mit dem Gehalt eines jungen Mädchens hatte, auch mit einem unbegrenzten Bankkonto haben konnte. Es war für mich unmöglich, an diesem Punkt zu sagen: "Vielleicht liege ich mit meiner Philosophie irgendwie verkehrt." Und mit Sicherheit konnte ich nicht sagen: "Vielleicht stimmt irgend etwas mit mir selbst nicht ganz." Es war für mich nicht schwierig, mich selbst davon zu überzeugen, daß der Mann, den ich geheiratet hatte, an meinem Unglück schuld war, und ehe ein Jahr vorüber war, ließ ich mich scheiden.

Noch bevor ich dreiundzwanzig Jahre alt wurde, heiratete ich noch einmal und ließ mich wieder scheiden. Diesmal war es ein prominenter Bandleader - ein Mann, den jede Frau begehrte. Ich dachte, das würde mir Ego-Kraft geben, mir das Gefühl geben, sicher zu sein und begehrt zu werden und meine Furcht erleichtern, aber wieder änderte sich innerlich überhaupt nichts bei mir.

Das einzig Bedeutsame von alledem liegt in der Tatsache, daß ich mit dreiundzwanzig schon genauso krank war, wie ich auch mit dreiunddreißig war, als ich zu A.A. kam, nur hatte ich damals scheinbar keinen Ort, wo ich hingehen konnte, weil ich kein Trink-Problem hatte. Selbst wenn ich in der Lage gewesen wäre, einem Psychiater die Gefühle der Sinnlosigkeit, Einsamkeit und Zwecklosigkeit zu erklären, die mit meinem tiefen Gefühl von persönlichem Versagen bei meiner zweiten Scheidung aufgekommen waren, bezweifele ich, ob mich der gute Doktor zu überzeugen vermocht hätte, daß mein Kernproblem ein spiritueller Hunger war, doch A.A. hat mir gezeigt, daß dies die Wahrheit war. Und ich bin sicher, wenn ich fähig gewesen wäre, mich zu jener Zeit an die Kirche zu wenden, hätten sie mich nicht überzeugen können, daß meine Krankheit in meinem eigenen Innersten lag, noch hätten sie mir den Bedarf nach Selbstanalyse zeigen können, den mir A.A. gezeigt hat, und der von entscheidender Bedeutung für mich ist, wenn ich überleben will. Also hatte ich keinen Ort, wo ich hingehen konnte. Oder es schien mir so. Nachdem ich gelernt hatte zu trinken, fürchtete ich mich vor nichts und niemandem mehr, denn mir schien von Anfang an, daß ich mich mit Alkohol jederzeit in meine eigene kleine Welt zurückziehen konnte, wo niemand an mich herankam, um mich zu verletzen. Dazu scheint nur allzu gut zu passen, daß ich mich schließlich in einen Alkoholiker verliebte, und in den nächsten zehn Jahren raste ich, so schnell ein Mensch nur kann, in das hinein, was ich eigentlich für hoffnungslosen Alkoholismus hielt.

Während dieser Zeit befand sich unser Land im Krieg. Mein Ehemann war bald in Uniform und unter den ersten, die nach Übersee gingen. Meine Reaktion darauf war in vieler Hinsicht identisch mit meiner Reaktion auf meine Eltern, als sie mich im Alter von sieben Jahren verließen. Anscheinend war ich körperlich im normalen Zeitrhythmus gewachsen, und ich hatte mir in den dazwischen liegenden Jahren ein durchschnittliches Maß an intellektueller Ausbildung angeeignet, aber es hatte überhaupt keine emotionale Heranreifung gegeben. Ich begreife jetzt, daß diese Phase meiner Entwicklung durch meine Besessenheit mit dem Selbst gehemmt gewesen war, und meine Egozentrik hatte solch ein Ausmaß erreicht, daß jegliche Anpassung an etwas, das außerhalb meiner persönlichen Kontrolle lag, unmöglich für mich war. Ich war in Selbstmitleid und Groll verstrickt, und die einzigen Menschen, die diese Haltung unterstützten, oder bei denen ich das Gefühl hatte, daß sie mich überhaupt verstanden, waren die Menschen, die ich in den Bars traf, und die genauso tranken wie ich. Es wurde immer notwendiger, vor mir selbst zu fliehen, weil meine Gewissensbisse und Scham und Demütigung in nüchternem Zustand fast unerträglich waren. Die einzige Möglichkeit, weiter zu existieren, bestand darin, in jedem nüchternen Moment zu rationalisieren und mich, so oft ich konnte, in völlige Vergessenheit zu trinken.

Mein Ehemann kehrte eines Tages zurück, aber es dauerte nicht lange, bis wir merkten, daß wir unsere Ehe nicht fortsetzen konnten. Zu diesem Zeitpunkt war ich solch eine fortgeschrittene Meisterin des Selbstbetrugs, daß ich mich selbst davon überzeugt hatte, ich hätte den ganzen Krieg lang ausgehalten und darauf gewartet, daß dieser Mann heimkommt, und mit meinem Groll und meinem Selbstmitleid wuchsen auch meine Alkoholprobleme.

In den letzten drei Jahren meiner Saufzeit trank ich auch während der Arbeit. Das Maß an Willenskraft, das ich einsetzte, um mein Trinken während der Arbeitszeit zu kontrollieren, hätte gereicht, um mich zur Präsidentin zu machen, wenn sie in einen konstruktiven Kanal gelenkt worden wäre, und was diese Willenskraft ermöglichte, war das Wissen, daß ich mich in völlige Gedächtnisleere trinken konnte, sobald mein Arbeitstag beendet war. Doch im Innern war ich zu Tode verängstigt, denn ich wußte, daß die Zeit kommen würde (und es konnte nicht mehr allzu weit sein), daß ich diesen Arbeitsplatz nicht mehr halten könnte. Vielleicht würde ich völlig unfähig werden, überhaupt einen Arbeitsplatz zu halten, oder vielleicht (und das war meine größte Angst) würde es mir gleichgültig werden, ob ich Arbeit hatte oder nicht. Ich wußte, daß es gleichgültig war, wo ich anfing, das unvermeidliche Ende würde ein 'Penner-Dasein' bedeuten. Die einzige Realität, der ich ins Auge sehen konnte, war mir durch ihre pure Wiederholung aufgezwungen worden - Ich mußte trinken; und meines Wissens gab es nichts auf der Welt, was dagegen getan werden könnte.

Ungefähr zu dieser Zeit traf ich einen Mann, der drei Kinder hatte, die eine Mutter brauchten, und mir schien, dies könnte die Lösung meines Problems sein. Ich hatte nie ein Kind gehabt, und das war oft eine zufriedenstellende Entschuldigung für meine Trinkerei gewesen. Es erschien mir logisch, daß es mich nüchtern halten würde, wenn ich diesen Mann heiratete und die Verantwortung für diese Kinder übernahm. Also heiratete ich wieder. Als ich später ins Programm gekommen war und meine Geschichte erzählt hatte, veranlaßte dies bei einem meiner A.A.-Freunde die wirklich rätselhafte Bemerkung, es müßte doch eigentlich immer schon ein Kinderspiel für mich gewesen sein, zum Programm zu kommen, weil ich immer an Männern interessiert war und sie nur vierundzwanzig-stunden-weise genommen hätte.

Die Kinder hielten mich verdammt nüchtern, fast drei Wochen lang, und dann ging ich (so Gott wollte) auf meine letzte Sauftour. Ich habe oft gehört, wie bei A.A. gesagt wurde: "Es gibt nur einen guten Rausch im Leben eines Alkoholikers, und das ist der Rausch, der uns zu A.A. bringt", und ich glaube, das stimmt. Ich war sechzig Tage lang rund um die Uhr betrunken, und ich hatte vor, mich im wahrsten Sinne des Wortes zu Tode zu trinken. Ich wanderte während dieser Periode zum zweiten Mal wegen Trunkenheit am Steuer ins Gefängnis. Ich war der einzige Mensch, den ich je persönlich kennengelernt hatte, der einmal im Gefängnis war, doch ich schätze, es ist äußerst vielsagend, daß das zweite Mal weniger demütigend war als das erste Mal.

Aus Verzweiflung fragten meine Familienangehörigen schließlich einen Arzt um Rat, und er empfahl A.A. Die Freunde, die kamen, wußten sofort, daß ich keineswegs in einem Zustand war, um irgend etwas aus dem Programm in mich aufzunehmen, und ich wurde in ein Sanatorium eingeliefert, um wieder klar zu werden, damit ich darüber für mich selbst eine nüchterne Entscheidung fällen konnte. Hier wurde mir zum ersten Mal klar, daß ich als praktizierende Alkoholikerin keinerlei Rechte hatte. Die Gesellschaft kann mit mir tun, was sie will, wenn ich betrunken bin, und ich kann keinen einzigen Finger rühren, um etwas dagegen zu tun, weil ich alle meine Rechte einfach auf Grund der Tatsache einbüße, daß ich zu einer Gefahr für mich selbst und die Menschen um mich herum werde. Mit tiefer Scham kam auch die Erkenntnis, daß ich ohne jeden Sinn für soziale Verpflichtung gelebt hatte und auch die Bedeutung von moralischer Verantwortung für meine Mitmenschen nie erkannt hatte.

Ich besuchte mein erstes A.A.-Meeting vor acht Jahren, und nur mit tiefer Dankbarkeit kann ich sagen, daß ich seitdem nie wieder getrunken habe, und daß ich keine Beruhigungsmittel oder Narkotika mehr nehme, denn dieses Programm ist für mich ein Programm völliger Nüchternheit, und ich brauche nicht mehr der Realität zu entfliehen. Es gehört wirklich zu den großartigsten Dingen, die mir A.A. beigebracht hat, daß auch die Wirklichkeit zwei Seiten hat; ich hatte vor dem Programm nur die grimmige Seite gekannt, aber jetzt hatte ich eine Chance, die angenehme Seite ebenfalls kennenzulernen.

Die A.A.-Mitglieder, die mich sponserten, sagten mir von Anfang an, daß ich nicht nur einen Weg finden würde, ohne Alkohol zu leben, sondern daß ich einen Weg finden würde, zu leben, ohne trinken zu wollen, wenn ich mich an drei einfache Dinge halten würde. Sie sagten, wenn du wissen willst, wie dieses Programm wirkt, dann nimm das erste Wort deiner Frage - das W steht für "Wahre Ehrlichkeit", das I steht für "Innere Aufgeschlossenheit" und das E steht für "Echte Bereitschaft"; diese drei Dinge nennt unser Blaues Buch die Hauptsache in der Genesung. Sie empfahlen mir, das A.A.-Buch aufmerksam zu lesen und zu versuchen, die Zwölf-Schritte genau nach den Erklärungen in dem Buch zu nehmen, weil sie der Meinung waren, daß die Anwendung dieser Prinzipien in unserem täglichen Leben uns nüchtern werden und nüchtern bleiben läßt. Ich glaube daran, und ich glaube auch, daß es gleichermaßen unmöglich ist, diese Prinzipien vierundzwanzig-stunden-weise zu praktizieren und noch zu trinken, denn meines Erachtens ist »beides gleichzeitig« nicht kompatibel.

Es war kein Problem für mich, zuzugeben, daß ich dem Alkohol gegenüber machtlos war, und ich war mir völlig sicher, daß mein Leben unkontrollierbar geworden war. Ich brauchte nur an den Kontrast zu denken, zwischen meinen Plänen, die ich vor so vielen Jahren für mein Leben geschmiedet hatte, und dem, was wirklich geschah, um zu wissen, ich konnte mein Leben weder betrunken noch nüchtern handhaben. A.A. brachte mir bei, daß Bereitschaft zum Glauben für den Anfang genug war. Das hat sich in meinem Fall bewahrheitet. Ich konnte auch nicht abstreiten, daß "uns unsere geistige Gesundheit wiedergegeben" werden kann, denn, betrunken oder nüchtern, bevor ich zu A.A. kam, war mein Handeln nicht das eines geistig gesunden Menschen. Mein Wunsch, mit mir selbst ehrlich zu sein, machte es unvermeidlich, zu erkennen, daß mein Denken irrational war. Es mußte so sein, oder ich hätte mein irrsinniges Verhalten tatsächlich nicht rechtfertigen können. Es tat mir gut, als ich eine Definition im Lexikon fand, die besagte: "Rationalisieren bedeutet, eine sozial tragbare Begründung für ein sozial untragbares Verhalten zu geben, und sozial untragbares Verhalten ist eine Form von Geisteskrankheit."

A.A. hat mir Gelassenheit in meiner Zielsetzung gegeben, die Gelegenheit, nützlich für Gott und meine Mitmenschen zu sein, und ich lebe gelassen in der Unfehlbarkeit dieser Prinzipien, die mir garantieren, daß ich meinen Zweck erfüllen kann.

A.A. hat mich gelehrt, daß mein eigener innerer Frieden stets in genau dem gleichen Verhältnis zu dem inneren Frieden stehen wird, den ich in das Leben anderer Menschen bringe, und mir wurde die wahre Bedeutung der Ermahnung beigebracht, "glücklich ist, wer um diese Dinge weiß und sie auch tut". Die einzigen Probleme, die ich jetzt noch habe, schaffe ich mir daher durch Ausbrüche in hastigem Eigensinn.

Seit ich im Programm lebe, habe ich viele spirituelle Erfahrungen gemacht. Viele davon erkannte ich nicht auf Anhieb, denn ich bin langsam im Lernen, und sie nehmen viele Gestalten an. Doch eine davon war so hervorstechend, daß ich sie weitergeben möchte, so oft ich kann, in der Hoffnung, daß sie einem anderen Menschen genauso hilft wie mir. Wie ich schon vorher erwähnte, waren Selbstmitleid und Groll meine ständigen Begleiter, und meine Inventur sah auf einmal wie ein dreiunddreißig-jähriges Tagebuch aus, weil ich anscheinend gegen jeden Menschen, den ich je gekannt hatte, Haß in mir trug. Bei allen außer einem dieser Gefühle wirkte die in den Schritten empfohlene "Behandlung" sofort, doch dieses eine stellte ein Problem dar.

Es war der Haß auf meine Mutter, und er war fünfundzwanzig Jahre alt. Ich hatte ihn genährt, gehegt und gepflegt wie mein liebstes Kind, und er war so sehr ein Teil von mir geworden wie mein eigener Atem. Er hatte mich mit Ausreden für alles versorgt, für meine mangelnde Erziehung, meine gescheiterten Ehen, mein persönliches Versagen, meine Unzulänglichkeit, und natürlich für meinen Alkoholismus. Und obwohl ich wirklich dachte, ich sei bereit gewesen, mich von ihm zu trennen, wußte ich jetzt, daß ich mich sträubte, ihn loszulassen.

Eines Morgens wurde mir dennoch klar, daß ich ihn loswerden mußte, weil meine Gnadenfrist auslief, und wenn ich ihn nicht loswurde, würde ich mich wieder betrinken - und besoffen wollte ich auf gar keinen Fall mehr werden. An diesem Morgen bat ich Gott in meinen Gebeten, er möge mir irgendeinen Weg zeigen, mich von diesem Groll zu befreien. Im Laufe des Tages brachte mir ein Freund ein paar Zeitschriften für die Krankenhaus-Gruppe, bei der ich mitmachte. Ich blätterte sie durch, und die "Schlagzeile" auf einer der Titelseiten brachte den Artikel eines berühmten Geistlichen. Darin stand das Wort "Groll", und ich blieb daran hängen.

Im wesentlichen sagte er: "Wenn Du Groll in Dir trägst, von dem Du frei sein möchtest, und wenn du dann für die Menschen oder die Dinge betest, gegen die Du was hast, dann wirst Du frei sein. Wenn Du in Deinem Gebet darum bittest, daß sie alles bekommen, was Du Dir auch für Dich selber wünschst, dann wirst Du frei sein. Bitte für ihre Gesundheit, ihren Wohlstand, ihr Glück, und Du wirst frei sein. Selbst wenn Du es ihnen nicht wirklich wünschst und Deine Gebete nur Worte sind, die Du gar nicht so meinst, die Dir wie eine Lüge vorkommen - Nur zu! Tu' es trotzdem! Tu' es jeden Tag, zwei Wochen lang, und Du wirst merken, daß es Dir ernst geworden ist und Du es ihnen wirklich wünschst. Du wirst erkennen, daß Du inzwischen Mitgefühl, Verständnis und Liebe empfindest, wo Du früher Bitterkeit, Groll und Haß gefühlt hast."

Das wirkte damals bei mir, und seitdem hat es oftmals bei mir gewirkt und wird immer bei mir wirken, wenn ich bereit bin, es wirken zu lassen. Manchmal muß ich erst um die Bereitschaft bitten, aber auch die kommt immer. Und weil es bei mir wirkt, kann es bei jedem von uns wirken. Wie mal jemand gesagt hat: "Praktisch die einzige Freiheit, die der Mensch hat, ist die Einsicht in die Notwendigkeit. Wenn du etwas sowieso tun mußt, solltest du es auch gerne tun. Wer klug ist, empfindet keinen Kummer wegen des Unabänderlichen."

Diese großartige Erfahrung, die mich von der Sklaverei des Hasses erlöste und sie durch Liebe ersetzte, ist eigentlich nur eine weitere Bestätigung der Wahrheit, die ich kenne: Ich bekomme alles, was ich brauche bei A.A. - alles, was ich brauche, bekomme ich - und wenn ich bekomme, was ich brauche, merke ich stets und ohne Ausnahme, daß es genau das ist, was ich die ganze Zeit wollte.


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Stand: 27. Juni 1997