Doktor Bobs Alptraum

Doktor Bobs Alptraum


Inhalt

[Vorwort]  [Kapitel 1]  [Kapitel 2]  [Kapitel 3]  [Kapitel 4]  [Kapitel 5]  [Kapitel 6]  [Kapitel 7]  [Kapitel 8]  [Kapitel 9]  [Kapitel 10]  [Kapitel 11]  [12 Traditionen]  [Stichwortverzeichnis]


Geschichte

[Doktor Bobs Alptraum]  [Unser Freund aus dem Süden]  [Der Hobby-Braumeister]  [Freiheit von den Fesseln]  [Einsame Bemühung


Ein Mitbegründer von Alkoholiker Anonymus. Der Geburtstag unserer Gemeinschaft wird auf den ersten Tag seiner dauerhaften Nüchternheit datiert, am 10. Juni 1935. Bis 1950, seinem Todesjahr, trug er die A.A. Botschaft zu mehr als 5000 alkoholkranken Männern und Frauen, und er gab ihnen allen seine ärztliche Betreuung, ohne an Kosten zu denken.

Ich wurde in einem kleinen neu-englischen Dorf mit siebentausend Seelen geboren. Der allgemeine Standard der Moral war, wie ich mich erinnere, weit über dem Durchschnitt. In der Nachbarschaft wurden weder Bier noch Spirituosen verkauft, außer in der staatlichen Spirituosen-Vertretung, wo man vielleicht einen halben Liter erwerben konnte, wenn sich der Verkäufer überzeugen ließ, daß man ihn wirklich benötigte. Ohne diesen Beweis würde der erwartungsvolle Besucher gezwungen sein, mit leeren Händen davonzuziehen, ohne den Stoff, von dem ich später zu dem Glauben kam, er sei das großartigste Allheilmittel für alle menschlichen Krankheiten. Die Menschen, die sich Spirituosen aus Boston oder New York per Expreß schicken ließen, wurden von den meisten der gutbürgerlichen Stadtbewohnern mit großem Mißtrauen und Mißfallen betrachtet. Die Stadt war gut versorgt mit Kirchen und Schulen, in denen ich meinen frühen erzieherischen Betätigungen nachging.

Mein Vater war ein Akademiker mit anerkannten Fähigkeiten, und sowohl mein Vater als auch meine Mutter waren in kirchlichen Angelegenheiten äußerst aktiv. Vater und Mutter besaßen beide erheblich überdurchschnittliche Intelligenz.

Unglücklicherweise war ich ein Einzelkind, was vielleicht meine Selbstsucht hervorrief, die eine sehr wichtige Rolle bei der Verursachung meines Alkoholismus spielte.

Von Kindheit an bis zum Abitur war ich mehr oder weniger gezwungen, zur Kirche zu gehen, in die Sonntagsschule, zur Abend-Liturgie, am Montag abend zum "Christlichen Streben" und manchmal am Mittwoch zur Abendandacht. Das hatte die Wirkung, mich zu dem Entschluß zu bringen, daß ich nie wieder die Schwelle einer Kirche überschreiten würde, wenn ich einmal frei von der elterlichen Dominanz wäre. In den folgenden vierzig Jahren hielt ich mich standfest an diesen Entschluß, außer wenn es mir unter den gegebenen Umständen unklug erschien, mich fernzuhalten.

Nach dem Gymnasium kamen vier Jahre auf einer der besten Hochschulen im ganzen Land, wo Trinken eine der hauptsächlichen Aktivitäten außerhalb des Lehrplans zu sein schien. Fast jeder schien das zu tun. Auch ich tat es mehr und mehr und hatte eine Menge Spaß und nicht viel Kummer, weder physisch noch finanziell. Ich schien dazu befähigt zu sein, am nächsten Morgen besser wieder einzuklinken als die meisten meiner Saufkumpane, die am nächsten Morgen zu einem mächtigen Kater verdammt (oder vielleicht begnadet) waren. Nicht ein einziges Mal in meinem Leben hatte ich Kopfschmerzen, eine Tatsache, die mich zu der Überzeugung führt, daß ich fast von Anfang an ein Alkoholiker war. Mein ganzes Leben schien sich darum zu drehen, das zu tun, was ich tun wollte, ohne Rücksicht auf die Rechte, Wünsche oder Privilegien von irgendeinem anderen Menschen; dieser Gemütszustand wurde mit den Jahren langsam immer beherrschender. In den Augen der trinkenden Zunft legte ich mein Examen "summa cum laude" ab, jedoch nicht in den Augen des Dekans.

Die nächsten drei Jahre verbrachte ich in Boston, Chicago und Montreal, beschäftigt bei einem großen Industriekonzerns und verkaufte Bedarf für die Eisenbahn, Verbrennungsmotoren aller Art und viele andere Produkte der Schwerindustrie. Während all dieser Jahre trank ich so viel, wie mein Geldbeutel erlaubte, immer noch, ohne dafür allzusehr bestraft zu werden, obwohl ich anfing, manchmal morgens zu zittern. Ich versäumte die Arbeit während dieser drei Jahre nur einmal einen halben Tag lang.

Mein nächster Schachzug war die Immatrikulation an einer der größten Universitäten des Landes, um das Medizinstudium aufzunehmen. Dort widmete ich mich der Beschäftigung mit der Trinkerei mit viel größerer Ernsthaftigkeit, als ich je zuvor an den Tag gelegt hatte. Auf Grund meiner enormen Kapazität beim Biertrinken wurde ich zur Mitgliedschaft bei einer der trinkenden Verbindungen auserwählt und wurde bald einer der führenden Geister. An vielen Morgen bin ich in die Vorlesungen gegangen, und obwohl ich bestens vorbereitet war, drehte ich mich um und lief wegen meines Tatterichs zurück zum Studentenwohnheim, denn ich traute mich nicht, den Klassenraum zu betreten, aus Angst vor einer Blamage, falls ich zur Rezitation aufgerufen werden sollte.

Das wurde immer schlimmer, bis zum Frühling des zweiten Studienjahres, als ich mir nach einer lang anhaltenden Trink- Phase in den Kopf setzte, daß ich meinen Studiengang nicht abschließen könnte; also packte ich meine Koffer und fuhr in den Süden, um einen Monat auf einer großen Farm zu verbringen, die einem Freund von mir gehörte. Nachdem sich die Benebelung in meinem Gehirn gelichtet hatte, entschied ich, daß es sehr dumm wäre, die Universität zu verlassen und daß es besser wäre, zurückzukehren und mein Studium fortzusetzen. Als ich bei der Universität ankam, entdeckte ich, daß die Fakultät andere Vorstellungen in dieser Angelegenheit hatte. Nach vielen Auseinandersetzungen erlaubten sie mir, zurückzukehren und meine Examina abzulegen, die ich alle mit Auszeichnung bestand. Aber man war sehr empört, und mir wurde mitgeteilt, man würde es vorziehen, ohne meine Anwesenheit voranzukommen. Nach vielen peinlichen Diskussionen gaben sie mir schließlich meine Abgangszeugnisse, und ich wanderte zu einer anderen der führenden Universitäten des Landes ab, wo ich mich als Student der Oberstufe im Herbst des gleichen Jahres immatrikulierte.

Dort wurde meine Sauferei so viel schlimmer, daß die Jungs aus dem Studentenwohnheim, wo ich wohnte, sich gezwungen fühlten, meinen Vater zu benachrichtigen, der in dem vergeblichen Bemühen, mich zu einer anständigen Lebensführung zu bewegen, die lange Reise auf sich nahm. Das hatte natürlich kaum eine Wirkung, denn ich hielt mich weiter ans Saufen und trank wesentlich mehr harte Schnäpse als in früheren Jahren.

Als das Abschlußexamen näher kam, ging ich auf eine besonders emsige Sauftour. Bei der schriftlichen Prüfung zitterte meine Hand so sehr, daß ich nicht einmal einen Bleistift halten konnte. Ich gab mindestens drei völlig leere Hefte ab. Ich bekam natürlich bald eins auf den Deckel, und das Fazit war, daß ich ein Semester wiederholen und absolut trocken bleiben mußte, wenn ich die Abschlußprüfung bestehen wollte. Daran hielt ich mich und bewies der Fakultät meine Reumütigkeit, sowohl im Betragen als auch schulisch.

Meine Führung war so lobenswert, daß es mir gelang, eine sehr begehrte Stellung als Assistenzarzt in einer Stadt im Westen zu finden, wo ich zwei Jahre verbrachte. Während dieser zwei Jahre wurde ich so stark in Anspruch genommen, daß ich fast überhaupt nicht aus dem Krankenhaus herauskam. Folglich konnte ich in keinerlei Schwierigkeiten geraten.

Als diese zwei Jahre um waren, eröffnete ich eine Praxis in der Innenstadt. Ich hatte ein bißchen Geld, keine Eile und oft Magenbeschwerden. Ich entdeckte bald, daß ein paar alkoholische Getränke meine Magenschmerzen linderten, mindestens für einige Stunden jedesmal, also war es für mich überhaupt nicht schwierig, zu meiner alten maßlosen Leidenschaft zurückzukehren.

Damals begann ich körperlich dafür sehr teuer zu bezahlen, und in der Hoffnung auf Erleichterung sperrte ich mich selbst mindestens ein Dutzend mal freiwillig in eine der örtlichen Heilanstalten ein. Ich war jetzt zwischen Skylla und Charybdis, denn wenn ich nicht trank, quälte mich mein Magen, und wenn ich trank, folterten mich meine Nerven. Nach drei Jahren in dieser Qual landete ich im örtlichen Krankenhaus, wo man versuchte, mir zu helfen. Aber ich ließ mir von meinen Freunden eine Flasche hereinschmuggeln, oder ich stahl den Alkohol des Hauses, und es ging rapide bergab mit mir.

Schließlich mußte mein Vater einen Arzt aus meiner Heimatstadt schicken, dem es gelang, mich irgendwie dorthin zurückzubringen, und ich blieb fast zwei Monate lang im Bett, bevor ich mich aus dem Haus wagen konnte. Ich blieb noch ein paar Monate länger in der Stadt und kehrte dann zurück, um meine Praxis wieder zu eröffnen. Ich glaube, ich muß durch das, was geschehen war, oder durch das Erscheinen des Arztes oder wahrscheinlich durch beides, völlig verstört gewesen sein, denn ich rührte keinen Alkohol mehr an, bis das landesweite Alkoholverbot eingeführt wurde.

Mit dem Erlaß des Achtzehnten Artikels [Prohibitionsgesetz] fühlte ich mich ganz sicher. Ich wußte, daß sich jeder ein paar Flaschen oder ein paar Kisten Schnaps kaufen würde, wieviel ihnen der Fiskus eben erlaubte, und dann wäre alles bald vorbei. Deshalb wäre es auch ziemlich gleichgültig, selbst wenn ich ein bißchen trinken würde. Damals war mir nicht bewußt, daß uns Ärzten von der Regierung die Möglichkeit einer beinahe unbegrenzten Versorgung zugebilligt wurde, und ich kannte auch noch nicht die Schwarzhändler, die bald am Horizont auftauchten. Zuerst trank ich in Maßen, aber ich brauchte nur eine relativ kurze Zeit, um wieder in meine alten Gewohnheiten zurückzufallen, die stets zur Katastrophe geführt hatten.

Während der nächsten paar Jahre entwickelte ich zwei verschiedene Phobien. Einmal die Furcht vor Schlaflosigkeit und zum anderen, daß mir der Alkohol ausgehen könnte. Da ich kein bemittelter Mann war, wußte ich, daß mir der Alkohol ausgehen würde, wenn ich nicht nüchtern genug blieb, um Geld zu verdienen. Morgens verkniff ich mir deshalb meistens das Trinken, obwohl ich mich danach sehr arg sehnte, aber statt dessen füllte ich mich mit einer starken Dosis von Sedativen ab, um meinen Tatterich zu beruhigen, der mich fürchterlich peinigte. Gelegentlich gab ich der morgendlichen Sehnsucht nach, aber wenn ich das tat, dauerte es nur ein paar Stunden, bis ich völlig untauglich für die Arbeit war. Das würde meine Chancen vermindern, abends etwas nach Hause zu schmuggeln, was nun wiederum bedeuten würde, daß ich mich eine Nacht lang sinnlos im Bett herumwälzen und am folgenden Morgen einen unerträglichen Tatterich haben würde. In den darauf folgenden fünfzehn Jahren war ich schlau genug, niemals ins Krankenhaus zu gehen, wenn ich getrunken hatte, und sehr selten empfing ich Patienten. Manchmal versteckte ich mich in einem der Klubs, in denen ich Mitglied war, und zeitweilig hatte ich die Angewohnheit, mich unter einem fiktiven Namen in einem Hotel einzuquartieren. Aber gewöhnlich fanden mich meine Freunde, und ich ging nach Hause, wenn sie mir versprachen, daß mir keine Vorwürfe gemacht werden würden.

Wenn meine Frau plante, am Nachmittag auszugehen, besorgte ich mir einen großen Schnapsvorrat, schmuggelte ihn heim und versteckte ihn im Kohlenkasten, in den Kleiderschubladen, über den Türpfosten, über Tragbalken im Keller und in Rissen in der Kellerwand. Ich benutzte auch alte Koffer und Truhen, den alten Blechbehälter und sogar die Aschetonne. Den Spülkasten der Toilette benutzte ich nie, denn das sah mir zu leicht aus. Ich fand später heraus, daß meine Frau ihn regelmäßig inspizierte. Ich steckte gewöhnlich acht oder zwölf Mini-Flaschen mit Alkohol in einen pelz-gefütterten Handschuh und warf ihn auf die hintere Veranda, wenn es in den Wintertagen dunkel genug wurde. Mein Schwarzhändler hatte mir Alkohol auf der Hintertreppe versteckt, wo ich ihn nach Bedarf holen konnte. Manchmal brachte ich ihn in meinen Taschen herein, aber die wurden durchsucht, und das wurde zu riskant. Ich füllte ihn meistens in kleine Taschenflaschen um und steckte mir mehrere davon in meine Strümpfe. Das funktionierte gut, bis sich meine Frau und ich Wallace Beery in "Tugboat Annie" ansahen. Danach war es aus mit dem Strumpf- und Socken-Trick!

Ich will keinen Platz damit verschwenden, von all meinen Krankenhaus- und Therapie-Erfahrungen zu berichten.

Während dieser ganzen Zeit wurden wir von unseren Freunden mehr oder weniger gemieden. Wir konnten nicht bei anderen eingeladen werden, denn ich würde mich mit Sicherheit betrinken, und meine Frau wagte es aus demselben Grund nicht, Leute einzuladen. Meine Angst vor Schlaflosigkeit erforderte, daß ich mich jeden Abend betrank, aber um für den nächsten Abend mehr Alkohol zu bekommen, mußte ich tagsüber nüchtern bleiben, mindestens bis vier Uhr. Dieses ewige Karussell ging mit wenigen Unterbrechungen siebzehn Jahre lang weiter. Es war wirklich ein schrecklicher Alptraum, dieses Geld verdienen, Stoff besorgen, ihn heimschmuggeln, sich betrinken, morgendlicher Tatterich, eine große Dosis Beruhigungsmittel nehmen, um es möglich zu machen, mehr Geld zu verdienen, und so weiter bis zum Erbrechen. Immer wieder versprach ich meiner Frau, meinen Freunden und meinen Kindern, daß ich nie mehr trinken würde - Versprechen, die mich meist nicht einmal tagsüber nüchtern hielten, obwohl ich sie echt aufrichtig meinte, wenn ich sie machte.

Für diejenigen, die gern experimentieren, möchte ich mein sogenanntes Bier-Experiment erwähnen. Als es wieder Bier gab, dachte ich zuerst, daß ich sicher wäre. Ich konnte davon trinken, soviel ich wollte. Es war harmlos; niemand wurde jemals von Bier betrunken. Also stellte ich den Keller damit voll, mit Erlaubnis meiner guten Frau. Es dauerte nicht lange, bis ich mindestens eineinhalb Kästen pro Tag trank. Ich legte fünfzehn Kilo Gewicht in etwa zwei Monaten zu, sah aus wie ein Schwein und hatte Atembeschwerden. Dann kam mir der Gedanke, daß eigentlich niemand sagen konnte, was man wirklich getrunken hatte, wenn man schon einmal von oben bis unten nach Bier roch, also begann ich mein Bier mit purem Alkohol zu verstärken. Natürlich war das Ergebnis sehr schlecht, und damit endete mein Bier-Experiment.

Ungefähr zu der Zeit meines Bier-Experimentes geriet ich in die Gesellschaft einer Gruppe von Menschen, von denen ich mich angezogen fühlte, weil sie sehr gelassen, gesund und glücklich zu sein schienen. Sie sprachen mit einer großartigen Freiheit von Verlegenheit, was ich nie konnte, sie schienen sich bei allen Gelegenheiten überaus wohl zu fühlen und machten einen wirklich gesunden Eindruck. Mehr noch als das, sie schienen glücklich zu sein. Ich war befangen und fühlte mich fast immer unbehaglich, meine Gesundheit war kurz vor dem Zusammenbruch, und mir war hundsmiserabel zumute. Ich spürte, daß sie etwas hatten, was ich nicht hatte und wovon ich gern profitieren mochte. Ich lernte, daß es etwas von spirituellem Wesen war, was mir wirklich nicht sehr lag, aber ich dachte, es könnte ja nichts schaden. Ich widmete dieser Materie in den nächsten zweieinhalb Jahren viel Zeit und Interesse, nichtsdestoweniger betrank ich mich aber noch jeden Abend. Ich las alles, was ich finden konnte und sprach mit jedem, der meiner Meinung nach irgend etwas darüber wußte.

Meine Frau fand tiefgreifendes Interesse daran, und ihr Interesse war es, was das meinige wachhielt, obwohl ich zu keiner Zeit spürte, daß es eine Antwort auf mein Alkoholproblem sein könnte. Ich werde nie verstehen, wie meine Frau ihren Glauben und ihren Mut während all dieser Jahre behielt, aber sie tat es. Hätte sie es nicht, so weiß ich, daß ich schon lange Zeit vorher tot gewesen wäre. Aus irgendeinem Grund scheinen wir Alkoholiker die Gabe zu haben, die feinsten Frauen der Welt auszuwählen. Warum sie den Qualen ausgesetzt werden mußten, die wir ihnen aufbürdeten, kann ich mir nicht erklären.

In dieser Zeit rief an einem Samstag nachmittag eine Dame bei meiner Frau an und sagte, sie wollte daß ich an diesem Abend zu ihr käme, um einen Freund von ihr zu treffen, der mir helfen könnte. Es war ein Tag vor Muttertag, und ich war sturzbetrunken nach Hause gekommen, hatte eine große Topfpflanze mitgebracht, sie auf den Tisch gestellt, war sofort nach oben gegangen und bewußtlos zusammengebrochen. Am nächsten Tag rief sie wieder an. Obwohl ich mich sehr mies fühlte, sagte ich, um höflich zu sein, "Laß uns den Besuch machen", zog aber meiner Frau ein Versprechen aus der Nase, daß wir nicht länger als fünfzehn Minuten bleiben würden.

Wir betraten ihr Haus genau um fünf Uhr, und es war elf Uhr fünfzehn, als wir es verließen. Ich führte später noch ein paar kürzere Gespräche mit diesem Mann und hörte abrupt auf zu trinken. Diese trockene Periode dauerte ungefähr drei Wochen; dann fuhr ich nach Atlantic City, um an einem mehrtägigen Kongreß eines nationalen Verbandes, bei dem ich Mitglied war, teilzunehmen. Im Zug trank ich allen Scotch, den sie hatten, und auf dem Weg in mein Hotel kaufte ich mir mehrere Liter. Das war am Sonntag. Ich betrank mich an diesem Abend, blieb am Montag bis nach dem Abendessen nüchtern und setzte dann mein Besäufnis weiter fort. In der Bar trank ich alles, was ich konnte, und dann ging ich auf mein Zimmer, um mir den Rest zu geben. Dienstag begann ich am Morgen und war gegen Mittag gut abgefüllt. Ich wollte mich nicht blamieren, also reiste ich ab. Auf dem Weg zum Bahnhof kaufte ich mir noch mehr Schnaps. Ich mußte einige Zeit auf den Zug warten. Von da an kann ich mich an nichts mehr erinnern, bis ich im Haus eines Freundes aufwachte, der in einer Stadt in der Nähe meines Hauses wohnte. Diese guten Leute benachrichtigten meine Frau, die meinen neu gewonnenen Freund herüberschickte, um mich zu holen. Er kam, brachte mich nach Hause und legte mich ins Bett. An diesem Abend gab er mir ein paar Schnäpse und eine Flasche Bier am nächsten Morgen.

Das war am 10. Juni 1935, und das war mein letzter Alkohol. Bis ich diese Aufzeichnungen schrieb, sind fast vier Jahre vergangen.

Ihnen wird natürlich folgende Frage in den Sinn kommen: "Was tat oder sagte dieser Mann, das sich von dem unterschied, was andere getan oder gesagt hatten?" Es muß daran erinnert werden, daß ich eine ganze Menge gelesen hatte und mit allen möglichen Leuten gesprochen hatte, die etwas über Alkoholismus wußten, oder meinten, etwas darüber zu wissen. Doch dies war ein Mann, der selbst viele Jahre schrecklicher Trinkerei erlebt hatte, der fast alle Säufer-Erfahrungen, die man kennt, selbst durchgemacht hatte, der aber durch dieselben Mittel geheilt worden war, die ich anzuwenden versucht hatte, nämlich durch das spirituelle Herangehen. Er gab mir Informationen über Alkoholismus, die zweifellos behilflich waren. Weitaus wichtiger jedoch war die Tatsache, daß er der erste lebendige Mensch war, mit dem ich je gesprochen hatte, der in Bezug auf Alkoholismus aus seiner eigentlichen Erfahrung wußte, worüber er sprach. Mit anderen Worten, er sprach meine Sprache. Er wußte all die Antworten, und gewiß nicht, weil er sie beim Lesen aufgeschnappt hatte.

Es ist eine äußerst wundervolle Gnade, von dem schrecklichen Fluch erlöst zu werden, mit dem ich behaftet war. Meine Gesundheit ist gut, und ich habe meine Selbstachtung und die Achtung meiner Kollegen wiedergewonnen. Mein häusliches Leben ist ideal, und meine Praxis geht so gut, wie es in diesen unsicheren Zeiten erwartet werden kann.

Ich verbrachte sehr viel Zeit damit, das weiterzugeben, was ich gelernt hatte, und zwar an andere Menschen, die es dringend wollten und brauchten. Das tue ich aus vier Gründen:

  1. Aus Pflichtgefühl.
  2. Es macht mir Freude.
  3. Weil ich damit meine Schuld dem Mann gegenüber begleiche, der sich die Zeit nahm, um es mir weiterzugeben.
  4. Weil ich mich jedesmal, wenn ich es tue, selbst ein bißchen mehr gegen einen möglichen Rückfall versichere.

Im Gegensatz zu den meisten von unseren Freunden kam ich in den ersten eineinhalb oder zwei Jahren meiner Abstinenz nicht über die krankhafte Begierde nach Alkohol hinweg. Ich schleppte sie fast immer mit mir herum. Aber ich war niemals auch nur nahe daran, nachzugeben. Ich wurde meist furchtbar sauer, wenn ich sah, daß meine Freunde tranken und wußte, ich konnte nicht, aber ich erzog mich selbst dazu, zu glauben, daß ich, obwohl ich einst das gleiche Privileg hatte, es so schrecklich mißbraucht hatte, daß es mir entzogen worden war. Also steht es mir nicht zu, darüber groß zu zetern, denn schließlich hatte mich niemand jemals gezwungen und mir Alkohol in die Kehle gegossen.

Wenn Sie denken, Sie sind ein Atheist, ein Agnostiker, ein Skeptiker, oder irgendeine andere Form von intellektuellem Stolz besitzen, welcher sie davon abhält, das zu akzeptieren, was in diesem Buch steht, dann tun Sie mir leid. Wenn Sie immer noch denken, Sie sind stark genug, das Spiel allein zu gewinnen, dann ist das Ihre Sache. Aber wenn Sie wirklich und wahrhaftig endgültig aufhören wollen, Alkohol zu trinken, und aufrichtig fühlen, daß Sie Hilfe brauchen, dann wissen wir, daß wir eine Antwort für Sie haben. Es mißlingt niemals, wenn Sie mit der Hälfte des Eifers herangehen, den Sie gewöhnlich gezeigt haben, wenn Sie noch etwas zu trinken bekommen wollten.

Ihr Himmlischer Vater wird Sie niemals im Stich lassen!



Stand: 27. Juni 1997