Zwei rotbäckige Kinder stehen am Fuße eines langen Hügels, und der Schein des winterlichen Sonnenuntergangs erleuchtet die schneebedeckte Landschaft. "Es wird Zeit, um
nach Hause zu gehen", sagt meine Schwester. Sie ist die älteste. Nach einer letzten vergnüglichen Abfahrt mit dem Schlitten trotten wir durch den tiefen Schnee heimwärts.
Das Licht einer Öllampe scheint von einem Fenster im Obergeschoß unseres Hauses. Wir stampfen den Schnee von unseren Stiefeln und stürmen an den warmen Kohleofen, der auch
das Obergeschoß heizen soll. "Hallo, ihr Schätzchen", ruft Mutter von oben, "zieht euch die nassen Sachen aus."
"Wo ist Vater?" frage ich. Ich rieche den Duft von heißen Würstchen, der durch die Küchentür strömt, und denke an das Abendessen.
"Der ist noch irgendwo steckengeblieben," antwortet Mutter. "Er müßte bald hier sein."
Vater ist ein Pfarrer der Episkopalkirche, und seine Arbeit bringt lange Fahrten über schlechte Straßen mit sich. Die Zahl seiner Gemeindemitglieder ist begrenzt, aber er hat
viele Freunde, denn für ihn spielen Rasse, Konfession und soziale Stellung keine Rolle. Es dauert nicht lange, bis er mit seinem alten Pferdewagen vorfährt. Sowohl er als auch
der alte Gaul sind froh, nach Hause zu kommen. Die Fahrt war lang und kalt, doch er war dankbar für die heißen Ziegel, die ihm ein umsichtiger Mensch für seine
Füße gegeben hatte. Bald steht das Essen auf dem Tisch. Vater spricht ein Tischgebet, was meinen Angriff auf die Buchweizenkekse und die Würstchen nur verzögert. Was
für ein Heißhunger!
Ein großer Setter liegt schlafend neben dem Ofen. Er gibt komische Laute von sich, und seine Hinterpfoten zucken. Was jagt er wohl gerade in seinen
Träumen? Noch mehr Kekse und Würstchen. Wenigstens bin ich satt. Vater geht ins Studierzimmer und schreibt ein paar Briefe. Mutter spielt Klavier, und wir singen. Vater ist mit
den Briefen fertig, und wir spielen alle gemeinsam ein paar spannende Brettspiele. Dann wird Vater überredet, aus dem Buch "Die Rose und der Ring" laut vorzulesen.
Es wird Zeit, zu Bett zu gehen. Ich steige in mein Dachzimmer hinauf. Es ist kalt, also wird nicht lange gezögert. Ich krabbele unter die dicke Bettdecke und blase die Kerze aus.
Eine Brise kommt auf und pfeift um das Haus. Aber ich bin sicher und warm. Ich falle in einen traumlosen Schlaf.
Ich bin in der Kirche. Vater hält seine Predigt. Der Frau, die vor mir sitzt, klettert eine Wespe den Rücken empor. Ich bin gespannt, ob sie bis zu ihrem Hals kommt. Sssst! Da
fliegt sie fort. Oh, hm, vielleicht sind die Wassermelonen im Garten von Mr. Jones reif. Das ist eine gute Idee! Benny weiß Bescheid. Und Mr. Jones wird nie erfahren, was mit
einigen davon geschieht, wenn sie soweit sind. Na endlich! Die Predigt ist beendet.
"So soll Euer Licht leuchten vor den Leuten, daß sie eure guten Werke sehen ..." Ich rase mit meinem Groschen zur Kollekte, damit es jeder sieht.
Vater geht nach vorn und steigt auf die Kanzel der Kirche. "Und der Friede Gottes, welcher höher ist denn alle Vernunft, der bewahre eure Herzen und Sinne2 ..." Hurra! Nur noch der
Schluß-Choral, und dann ist die Kirche bis zur nächsten Woche vorbei!
Ich bin im Zimmer eines anderen Schülers im College. "Du, Neuer", fragt er mich, "trinkst du manchmal?" Ich zögerte. Vater hatte mir gegenüber niemals
direkt vom Trinken gesprochen, und er selbst trank nie, soviel ich wußte. Mutter haßte Alkohol und hatte Angst vor Betrunkenen. Ihr Bruder war ein Säufer gewesen und war
in der staatlichen Irrenanstalt gestorben. Aber sein Leben war doch ganz etwas anderes und ging mich nichts an. Ich hatte noch nie Alkohol getrunken, aber ich hatte oft genug gesehen,
daß die Jungen, die tranken, dabei recht fröhlich waren. Also war ich interessiert. Ich würde nie so werden wie der Säufer im Dorf zu Hause. Eine Menge Leute
verachteten ihn! Eben ein Schwächling!
"Nun", fragte der ältere Junge, "wie sieht's aus damit?"
"Hin und wieder", log ich. Er sollte nicht denken, ich sei ein Muttersöhnchen.
Er goß zwei Gläser ein. "Das ist für dich", sagte er. Ich schütte es auf einen Zug hinunter und würgte. Es schmeckte mir nicht, aber das wollte ich nicht sagen.
Nein, niemals! Eine milde Glut stieg in mir hoch. Sag' bloß! Das war letzten Endes gar nicht so schlecht. Eigentlich war es verdammt gut. Selbstverständlich trank ich noch
einen. Das Glühen wurde stärker. Andere Jungen kamen herein. Meine Zunge wurde gelöst. Wir lachten alle laut. Ich kam mir sehr geistreich vor. Ich war keineswegs mehr
unterlegen. Ich schämte mich nicht einmal mehr für meine dürren Beine! Das war echt ein Ding!
Ein Dunstschleier erfüllte den Raum. Das elektrische Licht begann zu flackern. Dann waren plötzlich zwei Glühbirnen da. Die Gesichter der anderen Jungen wurden
verschwommen. Mir wurde schlecht. Ich torkelte zum Waschraum ... Ich hätte nicht so viel und so schnell trinken sollen. Aber jetzt wußte ich, wie man damit umgehen mußte.
Von nun an würde ich wie ein Gentleman trinken.
Und so begegnete ich Gevatter Schnaps - dem großartigen Freund, der auf meinen Befehl hin einen echten Teufelskerl aus mir machte, der mir eine so
schöne Stimme gab, wenn wir sangen "Oh alte Burschenherrlichkeit" und "Horch, was kommt von draußen rein?", der mir Freiheit von Furcht und Minderwertigkeitsgefühl gab.
Der gute, alte Gevatter Schnaps! Er war mein bester Freund.
Das Abschlußexamen rückt näher, und ich werde es vielleicht irgendwie bestehen. Am liebsten würde ich es gar nicht erst versuchen, aber Mutter rechnet fest damit. Ich
bekam die Masern, und das rettete mich davor, im zweiten Jahr aus dem College zu fliegen. Es klingelt, klingelt, klingelt. Unterricht, Bücherei, Chemieraum. Ich bin müde!
Doch das Ende ist in Sicht. Nur noch eine Prüfung, und zwar eine leichte. Ich starre auf die Fragen an der Tafel. Kann mich nicht an die Antwort auf die erste Frage erinnern. Ich
versuche es mit der zweiten. Auch da ist nichts zu machen. Mensch, das ist ja wirklich schwierig! Anscheinend kann ich mich an gar nichts mehr erinnern. Ich konzentriere mich auf eine der
Fragen, aber ich kann mit den Gedanken nicht bei der Sache bleiben. Es wird ungemütlich. Wenn ich nicht bald anfange, werde ich nicht rechtzeitig fertig. Hat keinen Zweck. Ich kann
nicht denken.
Oh! Eine Idee! Ich verlasse den Raum, was das akademische System erlaubt. Ich gehe auf mein Zimmer. Ich gieße ein Wasserglas halbvoll mit Korn und fülle es mit Sprudel auf.
Mann-oh-Mann. Jetzt zurück zur Prüfung. Meine Feder bewegt sich schnell. Ich weiß genügend Antworten, um durchzukommen. Der gute, alte Gevatter Schnaps! Auf den kann
man sich verlassen. Was für eine wundervolle Macht er doch über den Kopf hat! Er hat mir mein Abitur geschenkt!
Untergewicht! Wie ich dieses Wort hasse. Drei Versuche, mich freiwillig zum Armeedienst zu melden, und drei Ablehnungen, weil ich zu dünn bin. Es ist
wahr, ich habe gerade eine Lungenentzündung überstanden und somit ein Alibi. Aber meine Freunde sind im Krieg oder unterwegs dahin und ich nicht. Zur Hölle mit dem ganzen
Quatsch! Ich besuche einen Freund, der auf seinen Stellungsbefehl wartet. Hauptsache: "Essen, trinken und fröhlich sein." Diese Atmosphäre gewinnt die Oberhand, und ich sauge
sie in mich auf. Ich trinke jeden Abend sehr viel. Ich vertrage jetzt eine Menge, viel mehr als andere.
Ich werde zur Musterung einberufen und komme durch die ärztliche Untersuchung. Was für schmutzige Methoden! Einberufen! So eine Schande. Ich soll am 13. November ins
Ausbildungslager. Der Waffenstillstand wird am 11. November unterzeichnet, und der Stellungsbefehl wird widerrufen. Niemals im Wehrdienst! Der Krieg hinterläßt mich mit ein
paar Decken, einer Waschtasche, einem von meiner Schwester gestrickten Pullover und - mit einem noch größer gewordenen Minderwertigkeitskomplex.
Es ist zehn Uhr an einem Samstagabend. Ich arbeite hart an den Büchern der Tochtergesellschaft eines großen Unternehmens. Ich habe Erfahrung in Verkauf, Inkasso und Buchhaltung
gesammelt und bin auf dem besten Wege zum Erfolg.
Dann der Zusammenbruch. Die Baumwollpreise fallen in den Keller, und die Einnahmen frieren ein. Ein drei Millionen Dollar Überschuß wird ausgelöscht. Geschlossene
Büros und entlassene Arbeiter. Ich, und die Buchhaltung meiner Abteilung, sind in die Zentrale verlegt worden. Ich habe keine Untergebenen und muß samstags, sonntags und bis in
die tiefe Nacht hinein arbeiten. Mein Gehalt ist gekürzt worden. Meine Frau und das neugeborene Baby sind glücklicherweise bei Verwandten untergebracht. Was
für ein Leben! Ich fühle mich total erschöpft. Der Arzt hat zu mir gesagt, wenn ich mit der Büroarbeit nicht Schluß mache, werde ich Tuberkulose bekommen. Aber
was soll ich tun? Ich muß meine Familie ernähren und habe keine Zeit, mich nach einer anderen Arbeit umzuschauen.
Na schön. Ich lange nach der Flasche, die mir George, der Fahrstuhljunge, gegeben hat.
Ich bin ein Reisevertreter. Der Tag ist vorbei, und das Geschäft war nicht besonders gut. Ich werde zu Bett gehen. Am liebsten wäre ich zu Hause bei meiner Familie und nicht in
diesem schäbigen Hotel.
Sieh' mal einer an, wer ist denn da? Der gute, alte Charly! Es ist großartig, ihn zu sehen. Wie geht es dem alten Jungen? Trinken wir einen? Na, was denn sonst! Wir kaufen fünf
Liter Korn, weil er so billig ist. Trotzdem bin ich noch ziemlich gut beieinander, als ich zu Bett gehe.
Der Morgen kommt. Ich fühle mich schrecklich. Ein kleiner Schluck wird mich auf die Füße bringen. Aber ich brauche noch ein paar mehr, um auch drauf zu bleiben.
Ich besuche ein paar Kunden. Es geht mir viel zu schlecht, um mir darüber den Kopf zu zerbrechen, ob sie nun etwas bestellen oder nicht. Meine Fahne würde einen Elefanten
umhauen, erfahre ich von meinem Freund. Ich gehe zurück ins Hotel und trinke noch mehr. Ich mache durch bis zum frühen Morgen. Mein Kopf ist einigermaßen klar, aber
innerlich durchleide ich Höllenqualen. Meine Nerven schreien vor Schmerzen. Ich gehe zur Apotheke, aber sie ist nicht geöffnet. Ich warte. Die Minuten sind unendlich lang. Macht
denn dieser Laden nie auf? Na endlich! Ich stürme hinein. Der Apotheker verpaßt mir ein Bromid. Ich gehe zurück ins Hotel und lege mich hin. Ich warte.
Ich werde wahnsinnig. Die Bromid-Tabletten wirken nicht. Ich gehe zu einem Arzt. Er gibt mir eine Spritze. Endlich Frieden. Gott sei Dank!
Und ich schiebe diese Erfahrung auf den schlechten Schnaps.
Ich bin Immobilienverkäufer. "Wieviel kostet dieses Haus", frage ich den Chef der Firma, für die ich arbeite. Er nennt mir einen Preis. Dann sagt er: "Das ist der Preis, den die
Bauunternehmer verlangen, aber wir werden $ 500,-- hinzufügen und sie miteinander teilen, wenn du dieses Geschäft abschließen kannst." Der Kunde unterzeichnet den Vertrag
auf den vollen Betrag. Mein Boß kauft die Immobilie und verkauft sie dem Kunden. Ich bekomme meine Prozente und $ 250,-- extra, und alles ist in bester Ordnung. Wirklich alles?
Irgend etwas stinkt bei der Sache. Also trinken wir einen!
Ich werde Lehrer in einer Knabenschule. Die Arbeit macht mich glücklich. Ich mag die Jungs, und wir haben eine Menge Spaß, im Unterricht und außerhalb der Schule. Eine
unglückliche Mutter kommt wegen ihres Sohnes zu mir, denn sie weiß, daß ich ihn mag. Die Eltern erwarteten von ihm gute Noten, aber er hat nicht die Begabung, sie zu
bringen. Also hat er aus Angst vor dem Vater sein Berichtheft gefälscht, und seine Mogelei kam heraus. Warum gibt es so viele dumme Eltern, und warum gibt es soviel Elend im
Familienleben?
Die Arztrechnungen sind hoch, und das Bankkonto ist flach. Meine Schwiegereltern greifen uns unter die Arme. Ich bin voll von verletztem Stolz und Selbstmitleid. Scheinbar bekomme ich
kein Mitgefühl für meine Krankheit und kann die Liebe hinter diesem Geschenk nicht würdigen.
Ich rufe den Schwarzhändler an und fülle mein leeres Bierfäßchen auf. Aber ich warte nicht, bis die Gärung einsetzt. Ich betrinke
mich. Meine Frau ist überaus unglücklich. Ihr Vater kommt, um sich mit mir zusammenzusetzen. Er sagt nie ein unfreundliches Wort. Er ist ein echter Freund, aber ich weiß
es nicht zu schätzen.
Wir wohnen bei meinem Schwiegervater. Meine Schwiegermutter ist in kritischem Zustand ins Krankenhaus gekommen. Der Wind heult durch die Kiefern. Ich kann nicht schlafen. Ich muß
mich zusammenreißen. Ich schleiche die Treppen hinunter und hole eine Flasche Whisky aus dem Keller. Ich schütte mir den Alkohol durch die Kehle. Mein Schwiegervater taucht
auf. "Willst du auch einen Schluck?" frage ich. Er gibt keine Antwort und scheint mich kaum wahrzunehmen. Seine Frau stirbt in dieser Nacht.
Mutter liegt seit langem mit Krebs im Sterben. Das Ende ist nahe, und sie ist jetzt im Krankenhaus. Ich habe eine Menge getrunken, werde aber nie betrunken. Mutter darf das nicht wissen.
Ich sehe sie kurz vor ihrem Ende.
Ich kehre in das Hotel zurück, in dem ich wohne, und hole mir Gin vom Hotelpagen. Ich trinke und gehe zu Bett. Am nächsten Morgen trinke ich erst ein paar Schlucke, und dann
gehe ich los, um meine Mutter noch einmal zu besuchen. Ich kann es nicht mehr aushalten. Ich gehe zurück zum Hotel und hole mir noch mehr Gin. Ich trinke bis drei Uhr morgens durch.
Die unbeschreiblichen Höllenqualen haben mich wieder erwischt. Ich schalte das Licht an. Ich muß aus dem Zimmer gehen, oder ich springe aus dem Fenster. Ich laufe meilenweit.
Hat keinen Zweck. Ich gehe zum Krankenhaus, wo ich mich mit der Nachtschwester angefreundet habe. Sie steckt mich ins Bett und gibt mir eine Spritze. Oh, wundervoller Friede!
Mutter und Vater sterben im gleichen Jahr. Was hat das Leben überhaupt für einen Sinn? Die Welt ist verrückt. Lies' die Zeitungen. Die
Ausbildung, die Medizin, die Religion - alles Schwindel! Wie kann es einen liebenden Gott geben, wenn er soviel Kummer und Leid zuläßt? Bah! Erzähl mir nichts von
Religion. Wozu habe ich überhaupt Kinder in die Welt gesetzt? Ich wünschte, ich wäre tot!
Ich bin im Krankenhaus, um meine Frau zu besuchen. Wir bekommen wieder ein Kind. Aber sie freut sich nicht über meinen Besuch. Ich habe mich betrunken, während sie das Baby
bekam. Ihr Vater ist bei ihr.
Der Nachlaß meiner Eltern ist endlich geklärt. Ich habe ein wenig Geld. Ich versuche mich als Farmer. Es wird ein gutes Leben werden. Ich werde die Farm im großen Stil
betreiben und eine gute Sache daraus machen. Aber die Begeisterung sinkt. Mangelnder Sachverstand, schlechte Unternehmensführung, ein Orkan und die Wirtschaftskrise lassen die
Schulden immer mehr steigen. Aber auf dem Lande gibt es überall Destillen.
Es ist ein kalter, trüber Novembertag. Ich habe schwer gekämpft, um mit dem Trinken aufzuhören. [Meine Frau] bittet mich in eine Klinik für Alkoholiker zu gehen, die
man uns empfohlen hat. Ich sage, ich will hingehen. Sie trifft Vereinbarungen, aber dann ich will nicht mehr. Ich werde es alleine schaffen. Diesmal werde ich endgültig
aufhören. Ich werde nur noch dann und wann ein paar Bierchen trinken.
Es ist der letzte Oktobertag im darauf folgenden Jahr, ein dunkler, regnerischer Morgen. Ich bringe einen Stoß Heu in die Scheune. Ich suche Schnaps, kann aber keinen finden. Ich
gehe in den Stall und trinke fünf Flaschen Bier. Ich muß ein bißchen Schnaps besorgen. Plötzlich fühle ich mich hoffnungslos, unfähig, weiterzumachen. Ich
gehe nach Hause. Meine Frau ist im Wohnzimmer. Sie hatte mich gestern abend gesucht und sich den ganzen Abend gewundert, nachdem ich den Wagen stehen gelassen habe und
in die Nacht hinausgelaufen bin. Sie hat mich heute morgen gesucht. Sie ist am Ende. Es hat keinen Sinn mehr, irgend etwas zu versuchen, denn da gibt es nichts mehr zu versuchen. "Sag'
bitte nichts", sage ich zu ihr. "Ich werde etwas unternehmen."
Ich bin in einer Klinik für Alkoholiker. Ich bin ein Alkoholiker. Das Irrenhaus liegt vor mir. Könnte ich mich zu Hause selbst einschließen? Noch so eine dumme Idee. Ich
könnte in den Westen hinaus gehen, auf eine Ranch, wo ich nichts zu trinken bekommen würde. Das könnte ich tun. Auch eine dumme Idee. Ich wünschte, ich wäre tot,
wie ich mir das schon oft gewünscht habe. Aber ich bin zu feige, um mich umzubringen. Aber vielleicht. - Der Gedanke bleibt mir im Sinn.
Vier Alkoholiker spielen Bridge. Das Zimmer ist verqualmt. Ich muß etwas tun, um mich von mir selbst abzulenken. Das Spiel ist aus, und die anderen drei gehen fort. Ich fange an,
den Müll wegzuräumen. Ein Mann kommt zurück und schließt die Tür hinter sich.
Er sieht mich an. "Du meinst, es sei hoffnungslos für dich, nicht wahr?" fragt er.
"Ich weiß es", antworte ich.
"Nun, so ist es aber nicht", sagt der Mann. "Es gibt heute Menschen in den Straßen von New York, denen es schlechter ging als dir, und sie trinken nicht mehr."
"Was suchst du dann noch hier?" frage ich.
Seine Antwort:"Ich bin vor neun Tagen hier rausmarschiert und habe gesagt, daß ich ehrlich sein würde. Und das war ich nicht."
Ein Fanatiker, denke ich bei mir im Stillen, bleibe aber höflich und hake nach: "Wie meinst du das?"
Fragt der mich doch, ob ich an eine Kraft [power] glaube, die größer ist als ich selbst, unabhängig davon, ob ich diese Kraft nun Gott, Allah, Konfuzius, die 'Ursache
aller Dinge', den 'Göttlichen Geist' oder sonstwie nenne. Ich erzähle ihm, daß ich an Elektrizität und andere Naturkräfte glaube, daß aber - falls es
tatsächlich einen gab - Gott nie etwas für mich getan hätte. Da fragt er mich, ob ich bereit sei, alle jemals begangenen Fehler jedermann gegenüber wiedergutzumachen,
egal, wie falsch sie meiner Ansicht nach gewesen seien. Bin ich willens, mit mir selbst über mich ehrlich zu sein und jemandem davon zu erzählen? Und bin ich willig, an andere
Menschen und deren Nöte zu denken statt an mich selbst, um mein Trinkproblem loszuwerden?
"Ich werd' alles nur mögliche tun", erwidere ich. [I'll do anything.]
Sagt doch der Mann: "Dann bist du all deine Sorgen los", und verläßt das Zimmer. Sicherlich ist der Kerl in einer schlechten geistigen Verfassung [bad mental shape]. Ich nehme
ein Buch und versuche zu lesen, kann mich jedoch nicht konzentrieren. Ich gehe ins Bett und schalte das Licht aus, kann aber nicht schlafen. Plötzlich kommt mir ein Gedanke.
Können sich wirklich alle liebenswerten Menschen, die ich kennengelernt habe, in Bezug auf Gott irren? Dann ertappe ich mich plötzlich dabei, wie ich über mich selbst
nachdenke, sogar über ein paar Dinge, die ich eigentlich vergessen wollte. Ich beginne zu sehen, daß ich nicht der Mensch bin, für den ich mich gehalten habe, daß
ich mich selbst beurteile, indem ich mich mit anderen vergleiche, und zwar immer zu meinem eigenen Vorteil. Es ist schockierend.
Dann kommt mir ein Gedanke, der wie eine [innere] STIMME ist: "Wer bist du eigentlich, daß du sagen kannst, es gibt keinen Gott?" Er hämmert in meinem Kopf,
ich kann ihn nicht loswerden.
Ich verlasse das Bett und gehe ins Zimmer dieses Mannes. Er liest gerade. "Ich muß dich mal was fragen", sage ich zu ihm: "Wie paßt Gebet in diese Sache hinein?"
"Nun", antwortet er, "du hast wahrscheinlich versucht zu beten, genau wie ich. Wenn du im Schlamassel stecktest, hast du gesagt, 'Lieber Gott, tu bitte dies oder das' und wenn sich das
Blatt dann so wendete, wie du wolltest, war damit Schluß, und wenn nicht, dann hast du gesagt 'Es gibt keinen Gott' oder 'Er kümmert sich nicht um mich'. Stimmt's?"
"Ja", antworte ich.
"Das ist nicht der Weg", fuhr er fort. "Die Sache ist die, daß du sagen mußt: 'GOTT, hier bin ich mit meinen ganzen Sorgen [all my troubles]. Ich habe das Ding vermasselt
und kann nichts dagegen machen. Nun nimm mich und all meine Schwierigkeiten, und tu' mit mir, wie DU willst!' Beantwortet das deine Frage?"
"Ja, in der Tat", antworte ich. Ich gehe wieder ins Bett. Es war sinnlos. Plötzlich, fühlte ich, schwappte eine Welle äußerster Hoffnungslosigkeit über mir
zusammen. Ich war am tiefsten Punkt der Hölle. Und dort angelangt, wurde eine ungeheure Hoffnung geboren. Es könnte ja wahr sein?!
Ich stürze aus dem Bett und auf meine Knie. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Aber allmählich überkommt mich ein großartiger innerer Friede. Ich fühle
mich aufgehoben [lifted up]. Ich glaube an Gott. Ich krauche wieder ins Bett und schlafe wie ein Kind.
Einige Männer und Frauen kommen, um meinen Freund von gestern abend zu besuchen. Er stellt mich ihnen vor. Das ist eine fröhliche Bande. Ich habe niemals vorher Menschen getroffen, die so fröhlich waren. Wir reden. Ich erzähle ihnen von dem Frieden, und daß ich an Gott glaube. Ich denke an meine Frau. Ich muß ihr
schreiben. Eine Frau schlägt vor, daß ich sie anrufe. Was für eine wunderbare Idee.
Meine Frau hört meine Stimme und weiß, daß ich die Antwort [auf die Frage] des Lebens gefunden habe. Sie kommt nach New York. Ich verlasse das Krankenhaus, und wir
besuchen einige dieser neu gefundenen Freunde. Was für eine herrliche Zeit wir miteinander verbringen!
Ich bin wieder zu Hause. Ich habe die Gemeinschaft aus den Augen verloren. Die Menschen, die mich verstehen, sind weit weg. Die gleichen alten Probleme und Sorgen umgeben mich. Ich
ärgere mich über meine Familienangehörigen. Anscheinend läuft alles schief. Ich bin mürrisch und unglücklich. Vielleicht ein Schluck Alkohol - ich setze
meinen Hut auf und rase mit dem Auto davon.
Misch dich ins Leben anderer Menschen ein - das war eins, was die Freunde in New York gesagt hatten. Ich bin gebeten worden, einen Mann zu besuchen und ihm meine Geschichte zu
erzählen. Ich gehe zu ihm. Ich fühle mich besser, viel besser! Ich habe vergessen, daß ich trinken wollte.
Ich sitze im Zug, auf dem Weg in eine Großstadt. Ich habe meine Frau, die krank ist, zu Hause gelassen. Beim Abschied war ich unfreundlich zu ihr. Ich bin sehr unglücklich. Mag
sein, daß mir ein paar Gläschen helfen werden, sobald ich in der Stadt angekommen bin. Eine furchtbare Angst ergreift mich. Ich erzähle es dem Fremden auf dem Platz neben
mir. Die Furcht und die krankhaften Gedanken verschwinden.
Zu Hause laufen die Dinge nicht gut. Ich merke, daß nicht alles wie früher nach meinem Kopf gehen kann. Ich gebe meiner Frau und den Kindern die Schuld. Ärger beherrscht
mich, ein Ärger, wie ich ihn noch nie erlebt habe. Das mache ich nicht länger mit. Ich packe meine Sachen und haue ab. Ich bleibe bei meinen Freunden, die
mich verstehen.
Ich sehe ein, daß ich in mancher Hinsicht schief lag. Ich bin nicht mehr ärgerlich. Ich kehre nach Hause zurück und sage, daß mir mein Fehler leid tut. Ich bin
wieder ruhig, aber ich habe noch nicht eingesehen, daß ich ein paar konstruktive Taten der Liebe tun müßte, ohne etwas dafür zu erwarten. Ich werde das lernen,
nachdem ich noch ein paarmal explodiert bin.
Ich bin mal wieder depressiv. Ich will die Farm verkaufen und wegziehen. Ich will irgendwo hin, wo ich ein paar Alkoholiker finden kann, um ihnen zu helfen, und wo ich ein bißchen
Gemeinschaft haben kann. Ein Mann ruft mich an. Soll ich einen jungen Mann bei mir aufnehmen, der zwei Wochen durchgetrunken hat? Bald lerne ich andere Menschen kennen, die auch
Alkoholiker sind und einige, die auch andere Probleme haben.
Ich fange an, Gott zu spielen. Ich habe das Gefühl, daß ich sie alle heilen kann. Ich heile nicht einen einzigen, aber ich mache einen enormen Lernprozeß durch und habe
einige neue Freunde gewonnen.
Nichts läuft richtig. Mit den Finanzen ist es schlecht bestellt. Ich muß einen Weg finden, um etwas Geld zu verdienen. Die Familie denkt anscheinend immer nur ans Ausgeben. Die
Leute regen mich auf. Ich versuche zu lesen. Ich versuche zu beten. Schwermut umgibt mich. Warum hat mich Gott verlassen? Ich laufe trübsinnig im Haus herum. Ich will nicht ausgehen
oder irgend etwas anfangen. Was ist los? Ich kann es nicht verstehen. Ich will nicht so sein.
Ich werde mich betrinken! Diesmal ist es eine kaltblütige Vorstellung. Es ist ein Vorsatz. Ich richte ein kleines Zimmer über der Garage ein, mit Büchern
und Trinkwasser. Ich will in die Stadt fahren und mir Schnaps und etwas zu essen besorgen. Ich werde nicht trinken, bevor ich in dem Zimmer bin. Dann werde ich mich einschließen und
lesen. Und während ich lese, werde ich ein wenig trinken, mit langen Pausen zwischendurch. Ich werde trinken, bis ich in einer angenehmen, gelösten Stimmung bin und es dann
dabei belassen.
Ich steige ins Auto und fahre los. Auf halbem Wege kommt mir mit einem Schlag ein Gedanke. Ich will doch ehrlich sein. Ich werde meiner Frau erzählen, was ich vorhabe. Ich fahre
zurück und gehe ins Haus. Ich rufe meine Frau in ein Zimmer, wo wir ungestört miteinander sprechen können. Ich erzähle ihr ganz ruhig, was ich tun will. Sie sagt
nichts. Sie regt sich nicht auf. Sie bleibt vollkommen ruhig.
Als ich alles gesagt habe, kommt mir die ganze Idee auf einmal absurd vor. Keine Spur von Furcht ist mehr in mir. Ich lache darüber, wie krankhaft diese Vorstellung ist. Wir sprechen
über andere Dinge. Aus Schwäche ist Stärke hervorgegangen.
Den Grund, warum ich so in Versuchung geriet, kann ich momentan nicht erkennen.Später sollte ich jedoch lernen, daß es damit begann, daß meine Gier nach materiellem
Erfolg größer wurde als das Interesse am spirituellen Wohl meiner Mitmenschen. Ich erfahre mehr darüber, daß Ehrlichkeit der Grundstein des Charakters ist. Ich
lerne: Wenn wir unser Handeln am höchstmöglichen Ideal der Ehrlichkeit ausrichten, das uns überliefert ist, dann wird unser Sinn für Aufrichtigkeit immer mehr
geschärft.
Ich lerne, daß Ehrlichkeit das Wahre ist - und die Wahrheit wird uns freimachen!
Eine Zeitlang wird die Harmonie in einem Menschen durch Sinnlichkeit, Trunkenheit und Weltlichkeit hergestellt, doch schwindet ihre Kraftwirkung stetig dahin. Gott
bringt Harmonie in den Menschen hervor, die SEINEN GEIST in sich aufnehmen und SEINEN Geboten folgen.
Je besser es heute mit meiner inneren Harmonie stimmt, desto mehr komme ich in Einklang mit der ganzen wunderbaren Schöpfung Gottes. Der Gesang der Vögel, das Seufzen des
Windes, das Pochen der Regentropfen, das Rollen des Donners, das Lachen der Kinder, all das gehört zu der Symphonie dazu, in die ich einstimme. Das schäumende Meer, der
strömende Regen, die Herbstblätter, die Sterne am Himmel, der Duft der Blumen, die Musik, ein Lächeln, und ein Haufen anderer Dinge erzählen mir von der Herrlichkeit
Gottes.
Es gibt Perioden der Dunkelheit, aber die Sterne funkeln, egal, wie schwarz die Nacht ist. Es gibt Störungen, aber ich habe gelernt, daß eine Einsicht kommen wird, wenn ich
nach Geduld und Aufgeschlossenheit strebe. Und mit der Einsicht kommt die Führung durch Gottes Geist. Die Dämmerung kommt und mit ihr noch tieferes Verständnis, der Friede,
welcher höher ist als alle Vernunft, und die Freude am Leben, die weder durch die wildesten Umstände noch durch die Menschen um mich herum gestört werden kann. Furcht,
Groll, Stolz, weltliches Verlangen, Sorgen und Selbstmitleid ergreifen nicht mehr von mir Besitz. Die Zahl der wahren Freunde wächst immer weiter, und mit ihr wächst die
Fähigkeit zur Liebe, und der Horizont des Verstehens weitet sich immer mehr aus. Und über allem anderen entsteht eine größere Dankbarkeit und eine größere
Liebe für Unseren Vater im Himmel.
Stand: 27. Juni 1997
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