ARZT, ALKOHOLIKER, ABHÄNGIGERDieser Arzt dachte, er wäre nicht abhängig — er verschrieb sich nur medizinisch indizierte Medikamente für seine vielen Leiden. Akzeptieren war sein Schlüssel zur Befreiung. WENN ES JEMALS einen Menschen gab, der aus Versehen zu A.A. kam, dann war ich derjenige. Ich gehörte einfach nicht hierher. Selbst in meinen kühnsten Träumen wäre ich nie auf den Gedanken gekommen, daß ich gut und gern ein Alkoholiker sein könnte. Auch meine Mutter hatte in meiner Jugend nicht ein einziges Mal eine Anspielung darauf gemacht, ob ich wohl gerne Präsident der A.A. werden möchte. Nicht nur, daß ich weit davon entfernt war, zu glauben, es sei eine gute Idee, ein Alkoholiker zu sein — ich hatte auch überhaupt nicht das Gefühl, ein besonders großes Problem mit dem Trinken zu haben! Selbstverständlich hatte ich Probleme — alle möglichen Probleme. "Wenn Du die Probleme hättest, die ich habe, dann würdest Du auch trinken," sagte mein Gefühl. Meine größten Probleme waren Eheprobleme. "Wenn Du mit meiner Frau verheiratet wärst, würdest Du auch trinken." — Maxi und ich waren achtundzwanzig Jahre verheiratet gewesen, als ich schließlich bei A.A. aufschlug. Es begann einmal wie eine gute Ehe, aber es verschlechterte sich Jahr für Jahr, als meine Frau die verschiedenen Stadien durchlief, um sich für Al-Anon zu qualifizieren. Zuerst sagte sie, "Du liebst mich nicht. Warum gibst Du das nicht zu?" Später sagte sie dann, "Du magst mich nicht. Warum gibst Du das nicht zu?" Und als ihr Leiden die Endstadien erreichte, schrie sie, "Du haßt mich! Du haßt mich! Warum gibst Du nicht zu, daß Du mich haßt?" Also gab ich es zu. Ich erinnere mich gut daran, daß ich sagte, "Es gibt nur einen einzigen Menschen auf der Welt, den ich mehr hasse als Dich, und das bin ich selbst." Sie schrie ein bißchen herum und ging zu Bett; das war nun die einzige Antwort auf meine Probleme, die sie mir geben konnte. Ich schrie auch ein bißchen herum und dann mixte ich mir noch einen Drink. (Heute müssen wir nicht mehr so leben.) Maxi war nicht so geworden, weil ich mich nicht um sie kümmerte. Tatsächlich schien ich mich viel zu viel um sie zu kümmern. Ich hatte sie nacheinander zu vier verschiedenen Psychiatern geschickt, und nicht einer von ihnen hatte mich nüchtern gemacht. Ich schickte auch meine Kinder zu Psychiatern. Ich kann mich erinnern, daß einmal sogar der Hund eine psychiatrische Diagnose erstellt bekam. Ich brüllte Maxi an, "Was meinst Du damit, `Der Hund braucht nur mehr Liebe'? Sag Deinem dämlichen Hunde- und Katzen-Doktor, daß er kein Beverly Hills Psychiater ist. Ich will ja nur wissen, warum mir dieser Köter jedesmal auf den Anzug pinkelt, wenn ich ihn auf den Arm nehme?" (Dieser Hund hat mir nicht ein einziges Mal mehr die Hosen naß gemacht, seit ich bei A.A. bin, und ich mir auch nicht!) Je härter ich mit Maxi arbeitete, desto kränker wurde sie. Als dann schließlich alles auf einer psychiatrischen Station endete, überraschte mich das überhaupt nicht. Als dann aber die Stahltür mit einem Rumms ins Schloß fiel, und sie diejenige war, die nach hause ging, war ich verblüfft. Ich hatte in den frühen Jahren auf der pharmazeutischen Schule mit dem Trinken begonnen, um schlafen zu können. Ich ging tagsüber in die Schule, arbeitete den ganzen Abend in der Apotheke unserer Familie und lernte dann noch bis zwei Uhr morgens. Danach konnte ich nicht gut schlafen, denn das ganze Pensum, das ich gelernt hatte, drehte sich in meinem Kopf herum. Ich lag halb im Schlaf und halb wach, und am Morgen war ich dann müde und benommen. Da fand ich die Lösung: Nach dem Lernen trank ich zwei Bier, sprang ins Bett, schlief ganz schnell ein und wachte vernünftig auf. So schluckte ich meinen Weg durch die Schulen und bekam immer Belobigungen. Und während ich die pharmazeutische Schule, die Universität, die medizinische Hochschule, die Zeit als Medizinalassistent, Assistenzarzt und Ausbildung zum Facharzt durchlief und schließlich als approbierter Arzt zu praktizieren begann, nahm meine Trinkerei weiterhin zu. Doch ich dachte, das läge daran, daß meine Verantwortung wuchs. — "Wenn Du meine Verantwortung hättest und den Schlaf ebenso nötig bräuchtest, wie ich, dann würdest Du auch trinken." Meine Trinkerei fand nach der Arbeitszeit statt. Ich kann mich erinnern, wie ich mich mitten in der Nacht auf dem Ärzte-Parkplatz des Krankenhauses mit einem Fuß im Wagen und einem Fuß auf dem Boden ertappte, und nicht wußte, welches der vordere Fuß war; wie ich zu mir kam, als ich den Telefonhörer auflegte — dann merkte ich erst, daß ich aus dem Bett aufgestanden war, mich am Telefon gemeldet, das Licht eingeschaltet und ein Gespräch mit einem Patienten geführt hatte. Ich wußte aber nicht mehr, ob ich ihm gesagt hatte, daß er schnell ins Krankenhaus kommen und mich dort treffen, oder zwei Aspirin nehmen und mich am nächsten Morgen anrufen sollte. Mit solch einem Problem konnte ich natürlich nicht zurück ins Bett gehen. Also blieb ich auf, sah mir alte Wallace Beery Filme im Nachtfernsehen an, und trank dabei. Je länger ich mit dem Trinken weitermachte, desto kürzer wurde der Schlaf, den mir der Alkohol schenkte; ich mußte mich die ganze Nacht hindurch wieder und wieder in den Schlaf trinken. Aber ich wurde nie ein Morgentrinker. Stattdessen war bei mir um Punkt fünf Uhr morgens Feierabend. Wenn es eine Minute vor fünf war, trank ich mich wieder in den Schlaf. Wenn es eine Minute nach fünf war, stand ich auf und benahm mich den ganzen Tag lang wie ein Märtyrer. Nach und nach wurde es schwieriger, morgens aufzustehen, bis ich mir eines Tages die Frage stellte, was ich für einen Patienten tun würde, der sich so hundsmiserabel fühlte, wie ich. Die Antwort kam mir sofort in den Sinn: Ich würde ihm etwas zum Aufmuntern geben. Also begann ich sofort, Aufputschmittel zu schlucken und zu spritzen. Schließlich nahm ich fünfundvierzig Milligramm langsam wirkendes und fünfundvierzig Milligramm schnell wirkendes Benzedrin, nur um morgens aus dem Bett zu kommen. Ich nahm tagsüber mehr, um das Hoch zu verstärken und noch mehr, um es zu halten; wenn ich über das Ziel hinausschoß, nahm ich Beruhigungsmittel, um es abzuschwächen. Die Aufputschmittel beeinträchtigten manchmal meine Hörfähigkeit: Ich konnte nicht schnell genug hören, um zu hören, was ich sagte. Ich dachte manchmal, "Es wundert mich, warum ich das noch einmal sage — ich habe das schon dreimal gesagt." Doch ich konnte mein Mundwerk immer noch nicht abstellen. Um auf ein tieferes Niveau herunterzukommen liebte ich geradezu intravenöses Demerol, aber wenn ich mir Morphin spritzte, fiel es mir schwer, als Mediziner gut zu praktizieren. Nach einer Injektion mußte ich mir ständig mit einer Hand an meiner ewig juckenden Nase kratzen und hatte außerdem oft einen plötzlichen, nicht zu kontrollierenden Brechreiz. Codein, Percodan und die Beruhigungsmittel hatten bei mir nie eine besonders starke Wirkung. Wie auch immer, eine Zeitlang injizierte ich mir Pentothal intravenös, um mich in den Schlaf fallen zu lassen. Das ist der Stoff, der benutzt wird, wenn ein Kiefer-Chirurg eine Spritze in Ihre Vene setzt und sagt, "Zählen Sie bis zehn," und bevor Sie bis zwei kommen, sind sie schon eingeschlafen. Genaugenommen war es eine sofortige Ohnmacht, und das war anscheinend eine Wonne. Ich hatte das Gefühl, ich könnte mich nicht einfach ins Bett legen und mir das Zeug in die Venen einspritzen, während meine Kinder und meine Frau dabei herumstanden und mir zusahen, also ließ ich die Droge in meiner Tasche und die Tasche im Wagen und den Wagen in der Garage. Glücklicherweise war die Garage direkt an das Haus angebaut. Ich setzte mir die Spritze in der Garage an die Vene und versuchte dann genau ausrechnen, wie viel ich mir von dem Medikament einspritzen mußte, um die Wirkung der Aufputschmittel aufzuheben, dabei die Schlaftabletten hinzuzählen, ohne die Beruhigungsmittel mitzuzählen, damit ich gerade genug bekam, um noch in der Lage zu sein, die Nadel herauszuziehen, schnell die Aderpresse abzustreifen, sie ins Auto zu werfen, die Wagentür ins Schloß zu knallen, durch den Flur zu rennen und mich ins Bett fallen zu lassen, bevor ich in den Schlaf fiel. Es war schwer, die Dosis richtig einzuschätzen. Eines Nachts mußte ich mich drei Mal wieder einschläfern und dann entschied ich mich schließlich dafür, es aufzugeben. Aber dazu mußte ich das ganze Zeug aus dem Haus schaffen und mich von allem trennen. Am Ende mußte ich dasselbe mit Alkohol und allen Pillen tun. Ich war unfähig, mich von den Chemikalien zu trennen, so lange sie im Hause waren. Wenn sie greifbar waren, fand ich immer einen Grund, warum ich sie brauchte — besonders die Pillen. Nicht ein einziges Mal in meinem Leben nahm ich ein Beruhigungsmittel, eine Schmerztablette oder ein Aufputschmittel, weil ich ein Tablettensüchtiger war. Ich nahm sie immer, weil ich ein Symptom hatte, von dem mich nur diese Pille befreien konnte. Deshalb war jede Pille zum Zeitpunkt der Einnahme medizinisch indiziert. Für mich erzeugen Pillen nicht das Verlangen, eine Pille zu schlucken; sie erzeugen die Symptome, die es erfordern, daß die Pille zur Erleichterung genommen wird. Als Arzt und Pharmazeut, der im Hause eines Apothekers aufgewachsen war, hatte ich eine Pille für jedes Übel, und ich war oft krank. Heute merke ich, daß ich mein A.A. Programm nicht durchführen kann, wenn ich Pillen nehme, ich könnte sie nicht einmal nur für äußerste Notfälle in der Nähe haben. Ich kann nicht sagen, "Dein Wille geschehe," und dann eine Pille schlucken. Ich kann auch nicht sagen, "Ich bin machtlos über Alkohol, aber Alkohol in Tablettenform ist okay." Noch kann ich sagen, "Gott könnte mir meine Gesundheit wiedergeben, aber bis Er es tut, werde ich es selbst in die Hand nehmen — mit Pillen." Nur allein den Alkohol aufzugeben wäre nicht genug für mich; ich müßte alle Chemikalien, die Stimmung oder Bewußtseins beeinflußten, aufgeben, um nüchtern zu bleiben und mich wohl zu fühlen. Zweimal entschloß ich mich, über das Wochenende absolut nichts zu nehmen. Jedesmal hatte ich am Sonntagmorgen Krämpfe. Beide Male war meine Ansicht, daß ich am Abend zuvor nichts getrunken hatte, also hatte Alkohol offensichtlich nichts damit zu tun. Der Neurologe, der mich behandelte, dachte nicht daran, mich zu fragen, ob ich Alkohol trank, und ich dachte nicht daran, es ihm zu erzählen. Das Ergebnis war, daß er nicht herausfinden konnte, warum ich die Krämpfe hatte, und er wollte mich in die Mayo Klinik überweisen. Es schien mir, als müßte ich zuerst untersucht werden. Zufällig war ich der beste Diagnostiker, den ich damals kannte, und ich kannte meinen Fall mit Sicherheit besser, als jeder andere. Also setzte ich mich mit mir selbst hin und ging die Hintergründe der Krämpfe durch: Veränderungen der Persönlichkeit, tägliche Kopfschmerzen, Gefühl des drohenden Untergangs, Gefühl des drohenden Wahnsinns. Plötzlich war es offensichtlich für mich: Ich hatte einen Gehirntumor und würde sterben, und alle würden mich bedauern. Die Mayo Klinik schien der beste Ort zu sein, um meine Diagnose bestätigen zu lassen. Nach neuntägigen Untersuchungen wurde ich in eine geschlossene Abteilung eingewiesen — ausgerechnet dahin! Das war der Moment, als jene Stahltür mit einem Rumms ins Schloß fiel, und Maxi diejenige war, die nach hause ging. Es gefiel mir nicht, auf der Spinner-Station zu sein, und ich mochte es schon gar nicht, am Weihnachtsabend gezwungenermaßen Plätzchen mit Zuckerguß essen zu müssen. Also wirbelte ich genügend Staub auf, daß sie schließlich einwilligten, mich gegen ärztlichen Rat zu entlassen. Maxi übernahm die Verantwortung für mich, nachdem ich versprochen hatte, nie wieder zu trinken, nie wieder eine Pille zu nehmen, nie wieder zu fluchen und nie wieder Frauen anzusprechen. Wir stiegen ins Flugzeug und es gab sofort einen mächtigen Kampf darum, ob ich die alkoholischen Freigetränke trinken dürfte oder nicht. Maxi gewann; ich trank sie nicht. Aber so wahr mir Gott helfe, ich sprach kein einziges Wort mit ihr, und ich wollte auch nicht einen Bissen essen! Und so verbrachten Maxi und ich mit unseren beiden Töchtern den Weihnachtsabend vor acht Jahren. Als wir nach hause kamen, nahm ich mir eine Flasche Scotch und ging zu Bett. Am nächsten Tag rief Maxi einen Neurologen an und erzählte ihm von der Ansicht des Mayo-Psychiaters. Er vereinbarte für mich einen Termin bei einem örtlichen Psychiater, der schnell zu dem Schluß kam, ich würde in die psychiatrische Abteilung unseres örtlichen Krankenhauses gehören. Die Beschäftigten dort bestanden darauf, mich in einen Saal zu legen, obwohl Maxi und ich wußten, daß ich ein Anrecht auf ein Privatzimmer hatte. Schließlich fragte sie, "Ist Ihnen klar, daß er zum Ärztestab dieses Krankenhauses gehört?" Und ich bekam mein Privatzimmer. Die Zeit verging sehr, sehr langsam in meiner zweiten Spinner-Station. Ich bekam das nicht mehr ganz auf die Reihe und fragte mich ständig, "Was macht eigentlich ein netter Kerl wie ich an solch einem Ort?" Sie wollten von mir, daß ich Ledergürtel machte, ausgerechnet so `was! Hatte ich all diese Jahre studiert, nur um herumzusitzen und Ledergürtel zu machen? Außerdem konnte ich die Anleitung nicht verstehen. Die Beschäftigungstherapeutin hatte sie mir viermal erklärt, und es war mir zu peinlich, sie noch einmal zu fragen. (Ich freue mich, sagen zu können, daß ich trotz allem nur zu sehr wenigen A.A. Meetings gegangen war, bis es mir gelang, ein richtig hübsches Paar Mokassins zu machen — und die Hälfte einer Brieftasche. In den nächsten sieben Jahren trug ich diese Mokassins jeden Abend, bis sie völlig abgetragen waren. Zu meinem siebten A.A. Geburtstag ließ meine Programm-orientierte Al-Anon Gattin meine Mokassins bronzieren. Jetzt gehören mir vielleicht die teuersten Mokassins, die es je gab, und sie helfen mir, mich daran zu erinnern, wo ich einmal gewesen bin.) Im Krankenhaus hing ich an der Vorstellung, die ich fast mein ganzes Leben gehabt hatte: Wenn ich nur die äußeren Umstände kontrollieren könnte, dann würde ich mich mit den inneren Umständen wohl fühlen. Viel Zeit verbrachte ich mit dem Schreiben von Briefen, Notizen, Bestellungen, und Listen von Dingen für Maxi, die auch meine Arzthelferin war, um die Welt in Bewegung zu halten, während ich eingesperrt war. Jemand muß ganz schön krank sein, um das zu tun, und man muß vielleicht noch kränker sein, um wie sie jeden Tag wegen einer neuen Liste wiederzukommen. (Heute brauchen wir nicht mehr auf diese Weise zu leben. Maxi arbeitet immer noch mit mir in der Praxis, aber wir haben unseren Willen und unser Leben der Sorge Gottes übergeben. Wir haben den Dritten Schritt gemeinsam laut gelesen, und jeder war Zeuge für den anderen — genau wie es im Blauen Buch steht. Und während wir versuchen, meine alte Vorstellung umzukehren, indem wir uns durch die Zwölf Schritte um die inneren Umstände kümmern und die äußeren Umstände sich selbst überlassen, wird das Leben immer einfacher und leichter für uns.) Eines Tages, als ich dort in dem Krankenhaus saß, erschien mein Psychiater hinter mir und fragte, "Was halten Sie davon, mit dem Mann von A.A. zu reden?" Eigentlich war ich ja der Ansicht, daß ich schon all den Patienten auf der Station geholfen hatte, und ich hatte außerdem noch eine Menge eigene Probleme, auch ohne zu versuchen, irgend einem Säufer von A.A. zu helfen. Aber an dem Blick im Gesicht des Psychiaters konnte ich ablesen, daß es ihn wirklich glücklich machen würde, wenn ich einwilligte. Aus keinem anderen Grund, als um ihn glücklich zu machen, willigte ich also ein. Sehr bald merkte ich, daß das ein Fehler gewesen war — als dieser dicke Komiker ins Zimmer gehüpft kam, und fast am Brüllen war, "Ich heiße Frank, und ich bin Alkoholiker, ha-ha-ha!" Er tat mir wirklich leid; das einzige im Leben, womit er sich rühmen konnte, war die Tatsache, daß er ein Alkoholiker war. Erst viel später erzählte er mir, daß er ein Rechtsanwalt war. Wider mein besseres Wissen ging ich an diesem Abend mit ihm in ein Meeting, und seltsame Dinge begannen sich zu ereignen. Der Psychiater, der mich vorher hauptsächlich ignoriert hatte, wurde jetzt ganz interessiert; jeden Tag stellte er mir alle möglichen Fragen über die A.A. Meetings. Zuerst überlegte ich, ob er vielleicht selbst ein Alkoholiker war und mich hinschickte, um etwas über A.A. herauszufinden. Aber es kam bald heraus, daß er stattdessen folgende kindische Vorstellung hatte: Wenn er mich dazu bringen könnte, zu genug Meetings zu gehen, während ich im Krankenhaus war, dann würde ich weiter hingehen, nachdem er mich herausließ. Aus keinem anderen Grund, als um ihn zum Narren zu halten also, bat ich Frank, mich jeden Abend in ein Meeting mitzunehmen. Und Frank half mir jeden Abend für ein Meeting auf die Beine, außer Freitags, weil er meinte, da müßte er sich wieder einmal mit seiner Freundin verabreden können. "Was ist das für eine schlampige Art, eine Organisation zu führen," dachte ich, und ich meldete Frank dem Psychiater, den das aber nicht zu stören schien; er besorgte mir nur jemand anders, der mich Freitags mitnahm. Schließlich entließ mich der Psychiater aus dem Krankenhaus, und Maxi und ich begannen selbst zu Meetings zu gehen. Von Anfang an hatte ich das Gefühl, daß sie mir eigentlich nichts brachten, aber sie halfen sicher Maxi. Wir saßen hinten und redeten nur miteinander. Es dauerte genau ein Jahr bis ich in einem A.A. Meeting sprach. Obwohl uns am Anfang das Lachen Spaß machte, hörte ich eine Menge Dinge, die ich blöd fand. Ich interpretierte die Bedeutung von "nüchtern" als "trinken ohne betrunken zu sein." Als ein großer, gesund aussehender junger Mann dort aufstand und sagte, "Es ist heute ein Erfolg für mich, wenn ich heute nicht trinke," da dachte ich, "Mann, ich habe heute tausend Dinge zu tun, bevor ich damit prahlen kann, daß ich keinen Schluck trinke, um Himmels Willen!" Natürlich trank ich damals noch. (Heute gibt es absolut nichts auf der Welt, was mir wichtiger ist, als für mich, als Alkoholiker, nüchtern zu bleiben; keinen Schluck zu trinken ist bei weitem das Wichtigste, was ich jeden Tag tue.) Es schien, als ob sie in den Meetings immer nur über das eine sprachen: Trinken, Trinken, Trinken. Es machte mich durstig. Ich wollte über meine vielen großen Probleme sprechen; Trinken schien ein kleines Problem zu sein. Und ich wußte, daß "ein Glas für einen Tag" aufzugeben wirklich nicht viel nützen würde. Schließlich, nach sieben Monaten, entschloß ich mich, es zu versuchen. Bis heute bin ich erstaunt darüber, wie viele meiner Probleme — von denen ich glaubte, daß die meisten nichts mit Trinken zu tun hatten — leicht zu handhaben oder einfach verschwunden sind, seit ich aufgehört habe, zu trinken. Als ich das erste Mal zu A.A. kam, hatte ich schon alle Narkotika, die meisten Pillen, und den Schnaps ein bißchen aufgegeben. Anfang Juli hatte ich den Schnapshahn nach und nach ganz zugedreht, und in den nachfolgenden paar Monaten kam ich von allen Pillen herunter. Als der Saufdruck nachließ, war es relativ leicht, vom Alkohol wegzubleiben. Aber eine Zeitlang war es schwierig, keine Pille zu nehmen, wenn ich ein passendes Symptom hatte, wie zum Beispiel Husten, Schmerzen, Angst, Schlaflosigkeit, einen Muskelkrampf, oder einen gereizten Magen. Aber es ist allmählich leichter geworden. Heute finde ich, daß ich mein Recht auf chemischen Seelenfrieden aufgebraucht habe. Es half mir sehr, überzeugt zu werden, daß Alkoholismus eine Krankheit war und keine Moralfrage; daß mein Trinken das Ergebnis von psychischem Zwang war, selbst wenn mir der Zwang damals nicht bewußt gewesen war; und daß Nüchternheit keine Frage der Willenskraft war. Die Leute bei A.A. hatten etwas, das viel besser aussah als das, was ich hatte, aber ich fürchtete mich davor, meine Routine loszulassen, um etwas neues auszuprobieren; es gab so ein gewisses Gefühl der Sicherheit bei dem Gewohnten. Zuletzt erwies sich Akzeptieren als Schlüssel zu meinem Alkoholproblem. Nachdem ich sieben Monate bei A.A. war, Alkohol und Pillen langsam abgesetzt hatte und nicht einmal fand, daß das Programm sehr gut wirkte, war ich schließlich fähig, zu sagen, "Okay, Gott. Es ist wahr, daß ausgerechnet ich — so seltsam es auch scheinen mag, und selbst wenn ich nicht meine Erlaubnis dafür gegeben habe — wirklich, wirklich eine Art Alkoholiker bin. Und ich bin damit einverstanden. Also, was tue ich jetzt dafür?" Als ich aufhörte, im Problem zu leben und in der Lösung zu leben begann, ging das Problem weg. Von diesem Moment an habe ich kein einziges Mal mehr einen Drang zu Trinken verspürt. Und heute ist Akzeptieren die Lösung für all meine Probleme. Wenn ich unruhig bin, dann liegt das daran, weil ich irgend eine Person, einen Ort, ein Ding, oder eine Situation — irgend eine Tatsache in meinem Leben — für mich nicht akzeptabel finde, und ich kann keine Gelassenheit finden, bis ich diese Person, diesen Ort, dieses Ding, oder diese Situation akzeptiere, nämlich genau so zu sein, wie es für diesen Moment vorgesehen ist. Nichts, absolut nichts, geschieht in Gottes Welt aus Versehen. Ich konnte nicht nüchtern bleiben, bis ich meinen Alkoholismus akzeptieren konnte; wenn ich das Leben mit seinen Bedingungen nicht völlig akzeptiere, so wie es ist, dann kann ich nicht glücklich sein. Ich brauche mich nicht so sehr auf das zu konzentrieren, was an der Welt geändert werden muß, als auf das, was an mir und an meiner Einstellung geändert werden muß. Shakespeare sagte, "Die ganze Welt ist eine Bühne und alle Menschen sind bloß Schauspieler." Er vergaß zu erwähnen, daß ich der Chef-Kritiker war. Ich war immer in der Lage, die Fehler in jedem anderen Menschen und in jeder Situation zu sehen. Und ich wies immer gern darauf hin, weil ich wußte, man wünschte Perfektion, genau wie ich. A.A. und das Akzeptieren haben mich gelehrt, daß es ein bißchen Gutes in dem Schlimmsten von uns gibt und ein bißchen schlechtes in dem Besten von uns; daß wir alle Kinder Gottes sind und daß wir alle ein Recht haben, hier zu sein. Wenn ich mich über mich oder Dich beklage, so beklage ich mich über Gottes Handwerk. Ich sage, daß ich es besser weiß als Gott. Vor Jahren war ich sicher, es wäre das Schlimmste, was einem netten Kerl wie mir passieren könnte, wenn sich herausstellen würde, daß ich ein Alkoholiker sei. Heute finde ich, es ist das Beste, was mir je geschehen ist. Das beweist: Ich weiß nicht, was gut für mich ist. Und wenn ich nicht weiß, was gut für mich ist, dann weiß ich nicht, was gut oder schlecht für Dich oder für irgend jemand anders ist. Also ist es besser für mich, wenn ich keine Ratschläge gebe, mir nicht einbilde, ich weiß, was das Beste ist, und nur das Leben mit seinen Bedingungen akzeptiere, wie es heute ist — besonders mein eigenes Leben, wie es tatsächlich ist. Bevor ich zu A.A. kam beurteilte ich mich selbst nach meinen Absichten, während mich die Welt nach meinen Taten beurteilte. Akzeptieren ist die Lösung für meine Eheprobleme gewesen. Es ist, als ob mir A.A. eine neue Brille gegeben hätte. Maxi und ich sind jetzt seit fünfunddreißig Jahren verheiratet. Vor unserer Ehe, als sie ein schüchternes und hageres junges Mädchen war, hatte ich die Fähigkeit, in ihr Dinge zu sehen, die andere nicht unbedingt sehen konnten — Dinge wie Schönheit, Charme, Fröhlichkeit, eine Gabe, es einem leicht zu machen, mit ihr zu sprechen, Sinn für Humor und viele andere zarte Qualitäten. Es war als hätte ich statt einer Midashand*, die alles in Gold verwandelte, einen verstärkenden Sinn, der alles das verstärkte, worauf ich mich jeweils konzentrierte. [Midas, König von Phrygien, der nach der griechischen Sage die Kraft hatte, alles durch die Berührung seiner Hand in Gold zu verwandeln. Anm. d. Übers.] In den Jahren, als ich über Maxi nachdachte, wuchsen und wuchsen ihre guten Eigenschaften, und wir heirateten, und all diese Qualitäten wurden mehr und mehr sichtbar für mich, und wir wurden glücklicher und glücklicher. Aber dann, als ich mehr und mehr trank, schien der Alkohol meinen Einblick zu beeinflussen: Anstatt weiter zu sehen, was gut an meiner Frau war, begann ich ihre Fehler zu sehen. Und je mehr ich meinen Sinn auf ihre Fehler konzentrierte, desto mehr wuchsen sie und vervielfältigten sich. Jeder Fehler, auf den ich sie hinwies, wurde größer und größer. Jedesmal, wenn ich ihr sagte, sie sei ein Nichts, entschwand sie ein bißchen mehr ins Nirgendwo. Je mehr ich trank, desto mehr welkte sie. Dann wurde mir eines Tages bei A.A. gesagt, daß ich die Gläser in meiner Brille verkehrt herum hatte; im Gelassenheits-Gebet ist mit "dem Mut, die Dinge zu ändern" nicht gemeint, daß ich meine Ehe ändern sollte, sondern daß ich mich lieber selber ändern und lernen sollte, meine Gattin so zu akzeptieren, wie sie war. A.A. hat mir eine neue Brille gegeben. Ich kann mich wieder auf die guten Eigenschaften meiner Frau ausrichten und beobachten, wie sie wachsen und wachsen und wachsen. Ich kann das gleiche mit einem A.A. Meeting tun. Je mehr ich meine Gedanken auf die Fehler dabei ausrichte — Beginn mit Verspätung, lange Saufgeschichten, Zigarettenqualm — desto schlechter wird das Meeting. Aber wenn ich zu sehen versuche, was ich zu dem Meeting beitragen kann, statt zu sehen, was ich dabei für mich herausholen kann, und wenn ich meine Gedanken darauf konzentriere, was daran gut ist, anstatt auf das, was dabei verkehrt ist, wird das Meeting immer besser und besser. Wenn ich mich darauf konzentriere, was heute gut ist, habe ich einen guten Tag, und wenn ich mich darauf konzentriere, was schlecht ist, habe ich einen schlechten Tag. Wenn ich mich auf eine Problem konzentriere, wächst das Problem; wenn ich mich auf die Lösung konzentriere, wächst die Lösung. Heute versuchen Maxi und ich mehr über das zu kommunizieren, was wir fühlen, als über das, was wir denken. Früher stritten wir uns gewöhnlich über unsere verschiedenen Vorstellungen, aber wir können uns nicht über unsere Gefühle streiten. Ich kann ihr sagen, daß sie nicht in einer bestimmten Art denken soll, aber ich kann ihr mit Sicherheit nicht ihr Recht wegnehmen, zu fühlen, wie sie eben fühlt. Wenn wir mit Gefühlen umgehen, tendieren wir dazu, uns selbst und uns gegenseitig viel besser kennenzulernen. Es ist nicht leicht gewesen, diese Beziehung mit Maxi auszuarbeiten. Im Gegenteil, die schwierigste Stelle um in diesem Programm zu arbeiten ist in meinem eigenen Zuhause gewesen, mit meinen eigenen Kindern und schließlich mit Maxi. Mir scheint, ich hätte zuerst lernen sollen, meine Frau und meine Familie zu lieben und den Neuling bei A.A. zuletzt. Aber es war anders herum. Schließlich mußte ich jeden einzelnen der Zwölf Schritte speziell mit Maxi im Sinn noch einmal tun, angefangen beim Ersten Schritt, wobei ich sagte, "Ich bin machtlos über Alkohol, und mein Eheleben ist unkontrollierbar für mich," bis zum Zwölften Schritt, in dem ich versuchte von ihr als eine kranke Al-Anon zu denken und sie mit der Liebe zu behandeln, die ich einem kranken A.A. Neuling geben würde. Wenn ich das tue, kommen wir gut miteinander aus. Vielleicht ist es für mich am allerbesten, mich daran zu erinnern, daß meine Gelassenheit umgekehrt proportional zu meinen Erwartungen ist. Je höher meine Erwartungen an Maxi und andere Menschen sind, desto niedriger ist meine Gelassenheit. Ich kann beobachten, wie das Niveau meiner Gelassenheit steigt, wenn ich meine Erwartungen fallen lasse. Aber dann versuchen sich meine "Rechte" herein zu mogeln, und die können auch das Niveau meiner Gelassenheit herunter drücken. Ich muß meine "Rechte", genau wie meine Erwartungen, fallen lassen, indem ich mich frage, "Wie wichtig ist es wirklich? Wie wichtig ist es im Vergleich zu meiner Gelassenheit und meiner emotionalen Nüchternheit?" Und wenn ich mehr Wert auf meine Gelassenheit und meine Nüchternheit lege, als auf irgend etwas anderes, kann ich sie auf einem höheren Niveau halten — zumindest für eine Weile. Akzeptieren ist heute der Schlüssel zu meiner Beziehung mit Gott. Niemals sitze ich nur da, tue nichts und warte darauf, daß Er mir sagt, was zu tun sei. Stattdessen tue ich das, was gerade vor mir ist und getan werden muß, und ich überlasse die Ergebnisse Ihm; was immer dabei herauskommt, das ist Gottes Wille für mich. Ich muß meinen magischen verstärkenden Sinn auf mein Akzeptieren konzentrieren und weg von meinen Erwartungen, weil meine Gelassenheit direkt proportional zu meinem Niveau des Akzeptierens ist. Wenn ich mich daran erinnere, kann ich sehen, daß ich es nie so gut hatte. Ich danke Gott für A.A.!
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