Anonyme Alkoholiker - auf ins Rotlichtmilieu!

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Znojmo/Tschechien: Um es gleich vorweg zu sagen: Es ging nicht um einen Einsatz der Heilsarmee. Zuerst kam Post von Gisela. Damit fing es an. Sie lud hochoffiziell zehn handverlesene  Anonyme Alkoholiker aus Deutschland, Österreich und der Schweiz ein, auf Kosten des in München residierenden "AA Interessengemeinschaft e.V." für 10 Tage nach Tschechien zu reisen (26.5.-4.6.2000). Etwa eine Art Bildungsurlaub gefördert mit steuerbegünstigten Mitteln des Vereins?? Schließlich steht in der e.V.-Satzung etwas von "... Betreuung und Unterstützung von Gruppen (Meetings), in denen (Anonyme) Alkoholiker durch gemeinsamen Erfahrungsaustausch, gegenseitigen Zuspruch und gruppendynamische Bestärkung in ihrem Ansinnen unterstützt und gestärkt werden ..."
Nicht alle Eingeladenen kamen und nicht alle blieben. Was war geschehen? Otto Tauber (65), Regierungsamtmann AD aus Neuburg a.d.Donau, bereits seit 1979 ungekrönter König des erlauchten aber öffentlichkeitsscheuen Kreises, arrangierte persönlich die Unterbringung im "Motorest E*59".  Vor dem Eingang des Puffs (150DM die Stunde) ein unübersehbar einladendes Hinweisschild  "Girls! Girls!  Herren Club - Strip Show". Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.


Vor dem Eingang des Puffs ein unübersehbar einladendes Hinweisschild

Ortseingangsschild


Das Séparée für diskrete Treffen

Doch es kam noch dicker. Statt sich satzungsgemäß mit nützlichen Dingen zu befassen, die der "Förderung der öffentlichen Gesundheitspflege, der Unterstützung hilfsbedürftiger Personen, insbesondere Alkoholkranker und der Bekämpfung des Alkohol-Mißbrauchs und der Alkoholabhängigkeit" dienen, lud Otto ins Séparée ein. Das ist ein an die Gaststätte grenzendes fensterloses Zimmerchen mit dicht schließender Schiebetür. Dort eröffnete er den Anwesenden, das vereinbarte Programm sei hinfällig und sie sollten sich stattdessen intensiv der Prozeßvorbereitung gegen ein AA-Mitglied widmen, das nach Ansicht des e.V. hochgradig kriminell sei. Dessen Verbrechen besteht darin, aktives Mitglied einer internationalen AA-Gruppe zu sein, die mit Taschenausgaben des Blauen Buches in verschiedenen Sprachen "die ganze Welt überschwemmt" (Originalton AA e.V.).

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 Diese Gruppe tut das, indem sie zig-tausendfach Bücher an "hilfsbedürftige Personen, insbesondere Alkoholkranke" verschenkt und auch noch eventuell anfallende Versandkosten trägt, falls eine persönliche Übergabe nicht möglich ist. (AA Blaues Buch Studiengruppe, PF 1104, 61218 Bad Homburg, our main page/aabbsg ) Sozusagen die Gideon's der Alkoholiker. Der Verein möchte diese kostenlosen Bücher verbieten und vernichten lassen. Hoppla! Bücherverbrennung in Deutschland? Da war doch schon mal irgendwas??
Obwohl im Ursprungsland USA zu keiner Zeit ein Copyright auf das Ende der 30er Jahre von einer anonymen Autorengruppe geschriebene Buch bestand, beansprucht der AA-Verein ein Monopol auf diese –wie er es nennt–  Bibel der AA und ließ bereits 1996 durch seinen Öffentlichkeitssachbearbeiter Herbert Thiel, Eschborn, in offiziellem Auftrag nachdrücklich verlautbaren, der Verein werde jene wirtschaftlich zugrunderichten, die diesen Monopolanspruch fortgesetzt gefährden.

Der e.V. verkauft eine in Kernpunkten mangelhaft übersetzte Version des AA-Buches, und zwar für 25DM das Stück. Im  vergangenen Jahrzehnt stammten durchschnittlich 70% des steuerbefreiten Vereinseinkommens aus geschäftsmäßigem Literaturverkauf. Etwa die Hälfte des jährlichen Budgets von über einer Million Mark geht für Gehälter, Reisekosten, Telefon, Büro, Verwaltung, Anwälte und Gerichte drauf. Immerhin gab der e.V. nach den vorliegenden Zahlen von 1993-1997 von seinen Einnahmen (7,5Millionen DM)  sage und schreibe  3,3 Promille für den in §2 seiner Satzung niedergelegten Zweck aus: "Der Vereinszweck wird auch dadurch verwirklicht, daß insbesondere bei den öffentlichen Informationsmeetings Informationsmaterial und ausgewählte Literatur kostenlos verteilt werden." 3,3 Promille! Alle Achtung. Ist  bei Alkoholikern ja auch kein Wunder. Promille sind schließlich Promille!

Jahrelang saß dem Verein Bodo Dombrowski aus Mommenheim vor, der im Januar 1997 dem verblüfften Fernsehpublikum von SWF3 öffentlich erklärte "Für mich gehört das Trinken wie zur Mahlzeit dazu. Ich bin auch kein Abstinenzler." Und in der gleichen Sendung führte er zum Thema AA-Gruppen aus: "Dieses Prinzip wird strikt durchgehalten. Und man praktiziert das eben in einer Offenheit und Ehrlichkeit, daß also derjenige, der einen Rückfall gebaut hat, auch darüber reden kann und reden darf. Und für AA ist das das Normalste, daß jemand einen Rückfall baut. Deshalb gehört ja auch nicht etwa zu einer Mitgliedschaft, die es ja eigentlich nicht gibt, nun nicht etwa der Nachweis, daß man so und so lange trocken ist." Da regte sich bei dem einen oder anderen Zuschauer schon mal der Verdacht "Predigen die vom AA e.V. öffentlich Wasser und trinken (un)heimlich Wein?"  Der Verdacht verstärkt sich beim Lesen diverser Schriften, die der AA e.V. für teures Geld unters Volk bringt. Hier eine Kostprobe:

 "Wir haben keine Doktrin aufrechtzuerhalten. Wir haben keine Mitgliedschaft, die vergrößert werden muß. Wir haben keine Autorität, die gestützt werden muß. Wir haben kein Prestige, keine Macht und keinen Stolz, die befriedigt werden müssen. Und wir haben weder Besitz noch Geld, um die zu streiten sich lohnte. ... Die AA ist bereit, all ihr Wissen und ihre ganze Erfahrung herzuschenken ...Wir meinen damit, daß unsere Prinzipien auf jede Art überall angewandt werden können. Wir wollen daraus kein Monopol nur für uns selbst machen. ...  nach einigen Jahren der Überlegung entschied sich unsere Gemeinsame Dienstkonferenz gegen einen solchen Schritt (Anm.: die Eintragung als Körperschaft). Die dramatische Geschichte dieser Debatte und ihr Abschluß findet sich in unserem Buch ,,AA wird mündig". Diese frühen Konferenzen [1952/1953] meinten. daß das Recht, vor Gericht zu klagen, in unserer Hand eine gefährliche Sache sei. Es wurde erkannt, daß eine öffentliche Klage eine öffentliche Auseinandersetzung ist, in die wir uns, wie unsere Tradition sagt, nicht einlassen sollen. Um unsere rechtliche Position zu sichern, hätten wir unsere ganze Gemeinschaft als Gesellschaft eintragen lassen müssen; und niemand wollte unsere spirituelle Lebensweise als Körperschaft eingetragen wissen. Wir waren sicher, darauf vertrauen zu dürfen. daß die AA-Überzeugung, die öffentliche Meinung und Gott selbst in dieser Hinsicht für uns sorgen würden."(Aus: "Zwölf Konzepte für den Weltdienst" in der von der 12. Jährlichen Gemeinsamen Dienstkonferenz der Anonymen Alkoholiker am 26. April 1962 angenommenen Fassung, Herausgeber (c) 1986 Anonyme Alkoholiker deutscher Sprache, gedruckt mit Genehmigung der AAWS Inc, New York (c) 1962)

 Diese hehren Prinzipien waren nicht allen AA Mitgliedern unbekannt, die im Rotlichthotel E*59 Znojmo weilten. Und so regte sich Protest. Die Gruppe war mehrheitlich der Auffassung für Prozeßvorbereitungen weder qualifiziert noch dazu berechtigt zu sein. Bereits im Vorfeld hatte es seit  vielen Jahren harsche Kritik an den unangemessen hohen Kosten für Literatur gehagelt. So auch bei der AA Intergruppe, Olten, am 6.5.2000. Und es  war der Hoffnung auf zukünftige "Relativierung" der Mißwirtschaft Nachdruck verliehen worden. Nun wurde der Kassenwart des Schweizerischen AA-Vereins wegen dieses neuerlichen Falls mißbräuchlicher Vergeudung von Vereinsmitteln alarmiert. Schon viele –bis hin zum Frankfurter Generalstaatsanwalt– hatten den AA Vereinsvorstand an die  Einhaltung essentieller AA-Prinzipien erinnert.
Nun überschlugen sich die Ereignisse. Ein Schweizer Vertreter stellte  konsequenterweise seine  weitere Mitarbeit ein. Daraufhin reiste außerplanmässig der neue e.V.-Geschäftsführer Günter Habedank aus Dingolfing am 30.5. zur Krisensitzung nach Znojmo an. Er verursachte so zu den bereits auf Kosten der Vereinskasse verbratenen Tausendern zusätzlich weitere zweckfremde Reisekosten. Man beschloß eine sachlich fundierte Auseinandersetzung mit dem Blauen Buch durch die parteiliche  Aussage des Übersetzers Brian Jeffries aus Kaiserslautern zu ersetzen. Es wäre sicherlich interessant zu prüfen, wie tugendsam es ist, wenn Kläger während eines laufenden Gerichtsverfahrens  jemandem einen "angenehmen" Aufenthalt in einem ausländischen Spezial-Hotel finanzieren, um ihn dann offiziell als Zeugen in diesem Verfahren zu benennen. Sagt nicht der Volksmund "Wes' Brot ich eß, des Lied ich sing"?

 "Zehntausend Mark in den Sand gesetzt. Außer Spesen nichts gewesen" sagte Hans Stebler aus  Basel und reiste ab.

 Fristwahrend ging dennoch ein Schriftsatz des Vereinsanwalts Frieder Roth, München, an das Oberlandesgericht Frankfurt, Friedrich-Ebert-Anlage 35. Pikanterweise wurde darin als Entschuldigung für die fehlende Ausarbeitung einer eigenen sachlichen Gegenüberstellung der Buchtextversionen durch den Kläger lediglich "Zeitmangel" angegeben! Spätestens seit 1994 geht der AA e.V. massiv anwaltlich gegen Mitglieder von AA Gruppen und Nichtalkoholiker, ja sogar gegen Firmen vor, um diese in der Ausübung ihrer Hilfstätigkeit für Alkoholiker zu behindern, die der e.V. als Bedrohung seines Monopolanspruchs begreift und behandelt. Seit 1997 werden von ihm Rechtsstreite in der Öffenlichkeit ausgetragen, so daß man schon von einer Prozeßlawine sprechen kann. Zunehmend hat sich darin auch als treibende Kraft die millionenschwere, US-amerikanische AAWS Incorporation, New York, verwickelt.
 Bisher geschah dies jedoch ohne den mit allerlei lauteren und unlauteren Mitteln angestrebten Herausgabe-Vernichtungsbeschluß für "Das Blaue Buch" und seine fremdsprachigen Entsprechungen durchsetzen zu können. So kommt es, daß weltweit weiterhin hoffnungslose Säufer plötzlich und unerwartet einen Ausweg aus ihrer tödlichen Krankheit finden, weil ein hilfreicher Mensch ihres Umfeldes die Not nicht länger anschauen konnte und ihnen eines der kostenlosen Büchlein zusteckte. Der gesamtgesellschaftliche Nutzen durch Einsparung immenser Folgekosten, die jedes Jahr durch Alkoholismus verursacht werden, sei hier nur am Rande erwähnt.
 Leider Gottes können sich hierzulande Organisationen mit dem AA Namen schmücken, die die grundlegenden Prinzipien aus eben jener AA-Literatur mißachten, die sie teuer –weil monopolistisch– vermarkten. Das sind Wölfe im AA-Schafspelz, die letztlich dem AA-Namen in der Öffentlichkeit schaden, so daß betroffene Alkoholiker, die bei AA eigentlich uneigennützige Hilfe finden sollten, es sich in Zukunft zweimal überlegen müssen, ob sie sich auf das Risiko einlassen, vom AA e.V. als kriminell eingestuft, angezeigt und auch zivilrechtlich verklagt zu werden. Die Vertraulichkeit und das Anonymitätsprinzip sind jedenfalls beim Teufel. So kann es nicht weitergehen.
In der Berufungssache 11 U 53/99 fand ein Termin zur mündlichen Verhandlung an Dienstag den 27. Juni 2000, 9:30 Uhr, Saal D149 statt. Unerwartet kam soviel öffentliches Publikum, daß zusätzliche Stühle hereingeholt werden mussten.  Die Strafbarkeit des Verschenkens von AA-Literatur durch den Beklagten hat die Strafkammer des OLG Frankfurt in seinem Beschluß 2 Ws 5/00 vom 28.6.2000 schon verneint. Nach Auskunft des Beklagtenvertreters, Rechtsanwalt Dr. Russ von der Kanzlei Wallenfels in Wiesbaden schlugen Mitglieder von Münchner AA-Gruppen ihm einen weiteren Vermittlungsversuch vor, weshalb er sich an den Klägervertreter gewandt hatte. Hier das Ergebnis:

(Zitat:) Unter dem Eindruck unseres Gesprächs im Anschluss an die mündliche Verhandlung hat der Unterzeichner heute noch einmal mit Herrn Rechtsanwalt Frieder Roth die Frage einer außergerichtlichen Regelung erörtert. Herr Kollege Roth zeigte sich skeptisch, da der Verein keinesfalls wolle, dass Außenstehende in seine Publikationspolitik "hineinregieren".

Abgesehen davon, daß hier langjährige AA-Mitglieder plötzlich als "Aussenstehende" hingestellt werden, ist diese Äußerung ein weiterer Schlag ins Gesicht der AA-Prinzipien, speziell der Zweiten AA-Tradition, die da lautet "Für den Sinn und Zweck unserer Gruppe gibt es nur eine höchste Autorität - einen liebenden Gott, wie Er sich in dem Gewissen unserer Gruppe zu erkennen gibt. Unsere Vertrauensleute sind nur betraute Diener; sie herrschen nicht."
Der nächste Termin in der Berufungssache ist am 16. August, gleiche Zeit, gleicher Ort. Man darf auf weitere Enthüllungen gespannt sein. Den Vorsitz führt keine Unbekannte: Richterin Dr. Tilmann, die Präsidentin des OLG.

(ra)


Quelle und weiterführende Hintergrundinformationen:   http://aagso.org/motorest
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