Der Muntermacher (The Eye Opener) Copyright © 1986: Hazelden Foundation. Alle Rechte vorbehalten. Für die deutsche Ausgabe: Copyright © 1998: 12&12 Verlag, Oberursel

Oktober (wähle den heutigen Tag --- oder überlasse die Wahl dem Zufall)

Do

Fr

Sa

So

Mo

Di

Mi

Do

Fr

Sa

So

Mo

Di

Mi

Vorwort

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

index.htm

15

16

17

18

19

20

21

22

23

24

25

26

27

28

29

30

31

August

September

Vorwort

Dieses kleine Buch ist dem Gott meines eigenen Verständnisses gewidmet. Sein Ziel besteht darin, dem Alkoholiker, der seine Krankheit zum Stillstand gebracht hat, die verschiedene Aufbauphasen der AA-Philosophie, wie sie vom Autor ausgelegt und verstanden wurde, näherzubringen. Es ist in keinem Sinne offiziell, denn AA hat keine offizielle Meinung und jedes Mitglied spricht nur für sich selbst.

Der Autor dieses armseligen Werkes ist weder ein Schriftsteller noch ein Akademiker. Seine Philosophie ist keine selbständige Eigenschöpfung und wurde aus vielen Quellen zusammengetragen.

Wenn durch dieses Buch irgendein Herz erleichtert, irgendeine Familie glücklicher oder irgendeine Seele bestärkt wird, dann wurde unser Aufwand nach unserem Empfinden reichlich belohnt.

Gedanken zum 1. Oktober

Hier und da können wir lesen, daß sich Alkoholiker ihr eigenes Chaos geschaffen und dann irgendwie durch Lügen aus der Affäre gezogen hätten. Uns ist es anders ergangen. Wir schufen zwar unser eigenes Chaos*, das stimmt, doch unglücklicherweise blieben wir meistens darin stecken. Irgendwie gelang es uns nie, uns durch Lügen aus der Affäre zu ziehen. Die Lügen verfehlten irgendwie immer ihren Zweck, und in den wenigen Situationen, in denen wir mit einer Lüge durchkamen, waren wir gezwungen, unser lahmes Hirn für den Rest des Tages auf eine harte Probe zu stellen, um unser Geheimnis zu hüten und uns nicht selbst zu verraten. Ein Lügner braucht unbedingt ein gutes Gedächtnis, oder er ist verloren.

*Vgl. Alcoholics Anonymous, S. 62 (Deutsche Ausgabe S. 72)

Gedanken zum 2. Oktober

Die meisten von uns sind schon einmal Menschen begegnet, die wir ausgesprochen unansehnlich fanden, bis wir sie besser kannten. Dann achteten wir nicht weiter auf ihre fehlende äußerliche Schönheit und begannen, die Betreffenden für das zu achten, was sie wirklich waren.

George Washington*(1) und Abraham Lincoln*(2) sahen nicht gerade attraktiv aus, doch die Schönheit und Stärke ihrer Charaktere waren so großartig, daß heute kaum ein Bild etwas von ihrer Häßlichkeit zeigt.

Es läßt sich kaum etwas tun, um ein häßliches Gesicht zu verschönern, doch es läßt sich hinter einem liebenswürdigen Charakter verbergen.

*(1) Washington, George (1732 - 1799), 1. Präsident der USA (1789 - 1797)

*(2)Lincoln, Abraham (1809 - 1865), 16. Präsident der USA (1861 - 1865)

Gedanken zum 3. Oktober

Versprechungen, feierliche Erklärungen, Gelöbnisse, Vorsätze, Ärzte, Priester, Psychologen, Psychiater, Krankenhäuser, Richter, Gefängnisse, Zittern und Zagen - wir probierten alles aus, aber nichts erzielte bei uns die geringste Wirkung.

Eines Tages fanden wir uns in der Nüchternheit wieder - nüchtern durch die Gnade Gottes - und es läßt sich nicht leugnen, daß die Gnade Gottes der einzige Grund dafür war. Dieselbe Gnade wird dir weiter hold bleiben, solange du sie suchst, und du wirst bald merken: Das ist mehr als genug.

Gedanken zum 4. Oktober

Du kannst niemanden verschaukeln, ohne dich selbst anzuschmieren. Dieser Erfahrung stimmen alle Leute zu, die in AA-Meetings sprechen und versuchen, die AA-Botschaft an andere Alkoholiker heranzutragen.

Ob deine Reden anderen Menschen helfen oder nicht, das wirst du vielleicht nie erfahren, doch deine Bemühungen werden niemals umsonst gewesen sein, denn zweifellos hast du dir damit selbst den größten Gefallen getan.

Gedanken zum 5. Oktober

Es gibt so viele Möglichkeiten, in unserem Umfeld etwas Gutes zu tun, daß es beinahe unmöglich ist, jede Gelegenheit beim Schopfe zu packen. Es ist nicht einmal notwendig, die Zeitungen nach neuen Gelegenheiten zu durchforsten. Sie ergeben sich nächster Nähe und sind weitaus zahlreicher, als wir vermuten. Unsere Augen sehen nur das, was sie zu sehen geschult sind und mit ein bißchen Übung kannst du viele Gelegenheiten entdecken, die du früher übersehen hast.

Wenn du in deine Gebete die Bitte mit einschließt, daß kein Tag ohne die Gelegenheit vergehen möge, einem anderen Menschen zu dienen, dann werden deine Gebete sicher erhört werden, und du wirst froh darüber sein, daß du so viel zu tun hast und einzig und allein bedauern mußt, daß du nicht noch mehr tun kannst.

Gedanken zum 6. Oktober

Die Prohibition* ist ein glänzendes Beispiel dafür, wie nutzlos es ist, zu versuchen, den Menschen vor seinen eigenen Dummheiten zu bewahren. Die Errichtung von Schranken lockt wirklich nur den Erfindergeist des Menschen hervor, der diese Grenzen überwinden will.

Es ist eine bedauerliche Wahrheit, daß wir vor dem Feuer nicht zurückscheuen, bis wir uns einmal die Finger verbrannt haben, und ein Schild mit der Aufschrift "frische Farbe" wirkt beinahe auf jeden wie eine Verlockung, mit dem eigenen Finger herauszufinden, ob die Farbe vielleicht schon trocken ist.

*Prohibition: Periode der US-Geschichte (1920-33), in der aufgrund ausgedehnter Kampagnen der Kirchen, Frauenorganisationen, Abstinenzgesellschaften und Anti-Kneipen-Bewegung (Anti-Saloon-League) die Herstellung und der Konsum von Alkohol für illegal erklärt wurden. Das führte zu Schwarzbrennerei und Alkoholschmuggel, wovon hauptsächlich das organisierte Verbrechen profitierte. 1933 setzte ein öffentliches Volksbegehren den Widerruf des Alkoholverbotes durch.

Gedanken zum 7. Oktober

Als Alkoholiker sollten wir uns mit Ratschlägen zurückhalten. Erstens nahmen wir selbst niemals einen guten Ratschlag an. Zweitens spricht unsere Vergangenheit nicht gerade dafür, daß ein guter Rat von unserer Seite zuverlässig wäre.

Die beste Beratung können wir geben, indem wir einem Neuen zeigen, daß wir es geschafft haben, daß er es ganz genau wie wir schaffen kann, und daß der beste Weg, um "ins Programm zu kommen", darin besteht, denjenigen nachzueifern, die durch ihre Anwendung der Schritte zum Erfolg geführt worden sind.

Gedanken zum 8. Oktober

Ein Seefahrer, der Schiffbruch erlitten hat und auf einer verödeten Insel gestrandet ist, kann möglicherweise früher oder später jemanden finden, der in einer ähnlich mißlichen Lage ist, doch der leidende Alkoholiker ist ganz allein mit sich selbst - sogar in einer Welt, in der es von Alkoholikern nur so wimmelt.

Das ist eines der brutalsten Merkmale dieses Gebrechens, das uns von unserer Umwelt abtrennt und uns zu Menschen ohne eine Heimat, ohne eine Hoffnung und ohne einen einzigen Freund werden läßt.

Gedanken zum 9. Oktober

Wie? Du hast die Gans getötet, die goldene Eier legte? Zu dumm! Du kannst sie nicht wieder zum Leben erwecken, aber du kannst das Nächstbeste tun: Du kannst die Gans essen. Ein zerschlagenes Ei läßt sich nicht kleben, aber du kannst damit einen Kuchen backen.

Das Wasser, das den Bach hinab fließt, kann eine Turbine antreiben und unsere schwächste Stelle kann sich in unsere stärkste Seite verwandeln. Du bist ein Alkoholiker - das ist nicht zu ändern, doch du kannst deinen Alkoholismus nutzen, um anderen Alkoholikern zu helfen und einen Beitrag zum Wohl der Allgemeinheit zu leisten.

Gedanken zum 10. Oktober

Wer kann die verkannten Mozarts*(1), Shakespeares*(2), Edisons*(3), Raphaels*(4) oder Jeffersons*(5) zählen, die als Alkoholiker durchs Leben stolperten, und sich keinen größeren Namen machten, als den eines "betrunkenen Taugenichts". Viele von ihnen liegen vielleicht schon in ihrem Säufergrab begraben, und ihre Talente bleiben für immer und ewig unerkannt. Ihr Körper verabschiedete sich, bevor ihre Seele zu leben begann.

Vielleicht wirst du niemals weltberühmt werden, aber du könntest genau derjenige sein, der im rechten Augenblick zu jemandem ein Wort sagt, das dessen Leben von Grund auf verwandelt, und sein Leben verändert möglicherweise die ganze Welt.

*(1) Mozart, Johann Chrysostom Wolfgang Amadeus (1756-1791), österreichischer Komponist, Virtuose, Wunderkind und Schüler Haydns; brachte die klassische Musik auf einen neuen Höhepunkt.

*(2) Shakespeare, William (1564-1616), Englischer Dramatiker und Poet; revolutionierte die Entwicklung des klassischen Theaters und schrieb zahlreiche Gedichte.

*(3) Edison, Thomas Alva (1847-1931), US-amerikanischer Wissenschaftler und Erfinder mit über 1000 Patenten; Gründer der Edison Light Company (später die General Electric Company).

*(4) Raphael, eigentlich Raffaello Sanzio (1483-1520), Italienischer Maler und Architekt; einer der größten Künstler der Renaissance, bekannt für die Harmonie seiner Farben und Komposition; inspirierte viele seiner Zeitgenossen und Nachfahren, wie Caracci, Rubens, Poussin, Rembrandt, den Neoklassizismus und die Romantik.

*(5) Jefferson, Thomas (1743-1826), dritter Präsident der USA (1801-09), Gründer der Democratic Republican Party; veröffentlichte 1774 eine Übersicht über die amerikanischen Rechte und war als Kongreßmitglied (1775-1776) maßgeblich am Entwurf der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung beteiligt; 1779-81 Gouverneur von Virginia, 1785-89 US-Botschafter in Paris, 1789-93 Staatssekretär und 1797-1801 Vizepräsident.

Gedanken zum 11. Oktober

Wir sind nicht in der Lage, irgendein Gutachten über Lepra, Malaria, Maul- und Klauenseuche oder andere derartige Leiden und Gebrechen zu erstellen, doch wenn es um echte Suchtproblematik geht - zum Beispiel um Katzenjammer - dann können wir mit einiger Fachkenntnis aus eigener Erfahrung sprechen.

Die mörderische Behandlung, die wir unserem Körper zumuteten, und die er erstaunlicher Weise überstand, läßt vermuten, daß wir von der Natur ins Leben gesetzt wurden, damit wir uns selbst in einer so üblen Weise zurichten, die sonst in der Natur nicht ihresgleichen finden könnte. Die grob verletzte Natur beschränkt ihre Strafe auf den Körper. Die geistigen und seelischen Schlappen, die wir erlitten, haben wir uns selbst zuzuschreiben, und die waren von allem am grausamsten.

Gedanken zum 12. Oktober

Es gibt keine Freiheit für einen Menschen, der nicht im Grunde seines Herzens frei ist, und niemand kann jemals frei sein, solange er in irgendeiner Hinsicht ein Sklave ist, einmal abgesehen vom Gottesdienst.

Wenn sich ein Mensch mit Körper und Seele dem Willen Gottes unterwirft, so ist er tatsächlich frei, denn dann wohnt Gott in seinem Herzen und er ist bei Gott zu Hause. Bis zu einem gewissen Grad werden beide ein und dasselbe. Über aller irdischen Herrschaft mit Gott zu einer vollkommenen Einheit verschmolzen und so frei wie Gott selbst, nur das ist die wahre Freiheit.

Gedanken zum 13. Oktober

Was kann passieren, wenn die Anziehungskraft von AA zu groß werden würde? Es wird inzwischen deutlich, daß sich immer mehr junge Leute zu AA gesellen, nicht etwa, weil die Flasche das größte Problem in ihrem Leben darstellt, sondern weil sie lediglich befürchten, daß sie eine Neigung zum Alkoholismus besitzen könnten. Unsere Meetings sind interessant, einladend freundlich und informativ. Wird AA zu einem Club des gemütlichen Elends entarten und aufhören, die letzte Zuflucht für leidende Alkoholiker zu sein?

Werden wir am Ende feststellen müssen, daß wir zu viele Mitglieder haben, die nur zum Spaß zu AA kommen und zu wenige, die bereit sind, die volle Verantwortung auf sich nehmen, welche mit unserer Mitgliedschaft verbunden ist?

Gedanken zum 14. Oktober

In den U.S.A. erfanden die Schwarzbrenner während der Prohibition das ekelhafteste Gebräu aller Zeiten, fügten Alkohol hinzu, verkauften es an uns, und wir tranken es.

Wer kann sich noch an die übliche Prozedur erinnern? Zunächst durchzog uns ein Schüttelfrost von Kopf bis Fuß, dann hielten wir den Atem an und würgten es hinunter. Dann husteten wir, bis wir beinahe erstickten, und nachdem wir uns schließlich mit dem Handrücken die Mundwinkel abgewischt hatten, sagten wir: "Verdammt noch mal, das tut gut."

Wenn du dir seinerzeit so einen Blödsinn vormachen konntest, dann müßte es heute ein Kinderspiel für dich sein, dich für die Vorstellung zu begeistern, daß du keinen Alkohol zu trinken brauchst.

Gedanken zum 15. Oktober

AA kennt keine formalen Lehrbücher - wir lernen durch das Übernehmen von Erfahrungen und Weisheiten derjenigen, die bei uns eine Antwort gefunden haben, welche zum Erfolg führt. Wie groß die Fortschritte sind, die wir machen, hängt in erster Linie davon ab, inwieweit wir fähig sind, zuzuhören und das Gehörte zu verdauen.

Möglicherweise wird es uns nicht einmal bewußt, wenn wir durch irgendein Meeting letztendlich irgendwie weiser geworden sind, doch wenn wir über mehrere Monate zurückblicken, erkennen wir, daß Dinge, die wir gehört haben, in unserem Herzen Wurzeln geschlagen haben.

Gedanken zum 16. Oktober

So, wie unsere Arbeit im Zwölften Schritt geartet ist, sehen wir natürlich oft einen Menschen, der zum ersten Mal Kontakt mit uns aufnimmt, von seiner schlimmsten Seite. Viel zu häufig fällen wir sofort ein Urteil über ihn, und unsere gesamte Arbeit wird anschließend von diesem Vorurteil überschattet.

Denk nur ein bißchen zurück - du warst auch nicht gerade ein Engel, als du AA zum ersten Mal aufsuchtest.

Gedanken zum 17. Oktober

Mit deinen Wortbeiträgen bei AA besitzt du vielleicht die Beredsamkeit eines Patrick Henry*, doch wenn deine AA-Arbeit an dieser Stelle beendet ist, dann hältst du die Neuen nur eine Zeitlang zum Narren. Früher oder später werden sie dahinter kommen, daß du nicht mehr als eine Sprechmaschine bist, gut zum zuhören aber sonst zu nichts zu gebrauchen.

Zu wunderbaren Empfindungen gehören liebevolle Taten, sonst haben sie kaum einen Wert. Und liebevolle Taten sprechen für sich selbst.

*Henry, Patrick (1736-1799), US Politiker, der sich 1775 für die Bewaffnung der Miliz in Virginia in einer berühmten Rede aussprach, die mit den Worten endete: "Ich weiß nicht, welchen Kurs andere einschlagen wollen, aber gebt mir die Freiheit oder gebt mir den Tod!" Er war von 1776-79 und von 1784-86 Gouverneur von Virginia.

Gedanken zum 18. Oktober

Das Leben eines Alkoholikers ist einem Puzzlespiel sehr ähnlich. In unserer Saufzeit erschien uns das ganze Leben wie ein großer, durcheinandergewürfelter Haufen von Einzelteilen, die keinerlei Bezug zueinander zu haben schienen. Es war unmöglich, den Knoten zu lösen.

In AA gab uns jemand ein Eckstück, und von da an fanden wir langsam und mühselig ein Stück nach dem anderen. Jedes passende Stück, das wir fanden, erleichterte es ein wenig, das nächste Stück zu finden.

Erst fanden wir Verständnis, dann Hoffnung, dann Bestimmtheit, dann Nüchternheit, dann Selbstlosigkeit, dann Liebe, dann Glauben, und zu guter Letzt fanden wir Gott.

Schließlich waren alle Einzelteile an ihrem Platz, das Bild ergab Sinn, und es ist so wunderbar, daß wir es für immer behalten möchten.

Gedanken zum 19. Oktober

Unheil ist oft nichts weiter als eine Verkettung unglücklicher Umstände, die sich gerade ereignete. Unser Unglück ist meistens das Ergebnis von Unwissenheit, Unachtsamkeit und Gleichgültigkeit.

Wenn uns unsere Pechsträhnen achtsamer werden lassen, dann ist auch zu erwarten, daß in Zukunft glücklichere Umstände folgen werden.

Es war schließlich dein Unglück, was dich zu AA trieb. Und das Glück, das du heute besitzt, ist die logische Folge davon.

Gedanken zum 20. Oktober

Die Probleme von Hinterwäldlern sind für sie ebenso groß und zahlreich, wie deine Probleme für dich. Allerdings bekommen Hinterwäldler selten einen Nervenzusammenbruch, weil sie keine "Experten" haben, die sie von ihren gegenwärtigen Sorgen dadurch kurieren, indem sie irgendwelche Dinge ausgraben, von denen ihre Klienten nie im Leben vermutet hätten, daß sie verkehrt sein könnten und ihnen somit einen nagelneuen Topf voller Sorgen andrehen.

Häufig quälen wir uns solange mit unseren Sorgen herum, bis wir am Ende beim Psychiater landen, und dann fangen die Sorgen erst richtig an, wenn wir die Rechnung bekommen.

Gedanken zum 21. Oktober

Es war einmal vor nicht allzu langer Zeit, da hattest du alles verloren, was dir auf der Welt lieb und wert gewesen war, und dann setzte sich ein Mensch zu dir und gab dir Freundschaft, Verständnis, Vertrauen, Hoffnung, Mut und Glück. Hast du dir jemals bewußt gemacht, wie wertvoll diese großartigen Geschenke für dich waren? Dieser bewußte Mensch gab dir die Werkzeuge, mit denen du ein neues und besseres Leben erschaffen konntest.

Jemand war barmherzig zu dir, also "gehe hin und tue desgleichen!"*

* Lukas 10:37

Gedanken zum 22. Oktober

Wir Alkoholiker sollten niemals Gerechtigkeit fordern. Das ist so etwas wie eine Tugend, mit der wir nichts anfangen können. Sie wäre für uns Gift.

Bei näherer Prüfung würde sich folgendes herausstellen: Wenn uns Gerechtigkeit widerfahren wäre, dann hätten wir niemals vor der Tür von AA ankommen dürfen. Ein gerechter Wächter hätte das nicht erlaubt. Für uns ist es am klügsten, wenn wir uns in unseren Ansprüchen auf Barmherzigkeit beschränken, denn das ist genau das, was wir wirklich wollen und brauchen. Würde uns hingegen jemals in vollem Maße Gerechtigkeit widerfahren, würden wir sehr schnell merken, das es sich hier um etwas handelt, was wir uns überhaupt nicht wünschten.

Gedanken zum 23. Oktober

"Warum will dieser Typ das Programm nicht kapieren? Er ist restlos auf den Hund gekommen und sitzt schreckliche in der Patsche. Was ist nur los mit ihm?"

Wir versuchen, den Hintergrund dieses Mannes genau zu untersuchen, seine geistigen Fähigkeiten, sein Familienleben, sein berufliches Umfeld, seine Umgebung, und da findet sich wirklich keine Antwort.

Habe ich irgend etwas falsch gemacht, als ich ihm die Botschaft zu vermitteln versucht habe?

Das Wahrscheinlichste ist: Er ist noch nicht reif - er will noch weitertrinken.

Er kann das Licht am Ende des Tunnels nicht sehen, doch er ist wahrscheinlich auch weiter davon entfernt, als du annimmst. Vielleicht ist es um ihn herum einfach noch nicht dunkel genug.

Gedanken zum 24. Oktober

Vorsätze sind wie Tontauben: Sie sind da, um zerteppert zu werden. Gute Vorsätze werden fast immer in aller Aufrichtigkeit gefaßt. Doch schon der eigentliche Akt, einen Vorsatz zu fassen, ist das Eingeständnis des Betreffenden, daß er diesen Vorsatz ohnehin nicht einhalten kann. Da Vorsätze im Gegensatz zu den unbewußten Wünschen des Betreffenden stehen, sind sie mit ziemlicher Sicherheit von Anfang an zum Scheitern verurteilt.

Wenn jemand wirklich das will, was er sich vornimmt, dann würde er es ohne den Vorsatz tun, denn wir neigen dazu, die Dinge zu tun, die wir wirklich tun wollen.

Gedanken zum 25. Oktober

Der größte Akt der Selbsttäuschung seitens eines Säufers ist die tatsächliche Überzeugung, daß es ihm nach einem Schluck Alkohol besser gehen wird. Wir bekommen diese Illusion, weil das elende Gefühl vorübergehend abgetötet wird, wenn alkoholisiertes Blut durch unser Gehirn strömt. Doch es bewirkt gleichzeitig, daß wir durstig werden, und deshalb trinken wir weiter. Somit geht es uns unweigerlich schlechter. Der Schnaps läßt dich zunächst ein paar Zentimeter vom Boden abheben, aber dann wirft er dich hunderte von Metern in die Tiefe. Was dich krank macht, wird niemals ein Wohlgefühl bei dir erzeugen können.

Gedanken zum 26. Oktober

Der Tod gehört zum Leben wie die Geburt. Das Gehen vollzieht sich im Heben wie im Aufsetzen des Fußes.* Meistens sterben wir so, wie wir gelebt haben. Sterben ist das Letzte, was wir auf dieser Erde tun, doch sicherlich leben wir nicht nur um zu sterben. Wenn dem so wäre, dann wäre das Leben nicht der Mühe wert.

Der einzig lohnende Zweck des Lebens besteht darin, das Leben derjenigen zu bereichern, mit denen wir in Berührung kommen. Wenn du wirklich so lebst, daß das Leben anderer Menschen reicher wird, dann erfüllst du den Zweck deines kleinen Lebens.

* Rabindranath Tagore (1861-1941), indischer (bengalischer) Schriftsteller und Philosoph, der als Vermittler zwischen Orient und Okzident auftrat. Er war Mitschöpfer der bengalischen Literatursprache, verfaßte und vertonte 1911 die indische Nationalhymne und erhielt 1913 den Nobelpreis.

Gedanken zum 27. Oktober

Geschenke werden meist für einen Gefallen vergeben, der entweder bereits getan wurde oder anschließend erwartet wird. Selbst auf einen plötzlichen Ausbruch von Zärtlichkeiten seitens der Ehefrau folgt häufig die Beschreibung eines Kleides, das sie in irgendeiner Boutique in der Stadt gesehen hat.

Das Geschenk von AA ist eine der wenigen Ausnahmen. Wir geben AA weiter, weil das die einzige Möglichkeit ist, um es selbst zu behalten.

Gedanken zum 28. Oktober

Der Versuch, allein mit deinen Problemen fertig zu werden, ähnelt den Bemühungen eines Menschen, der ein Brett aufzuheben versucht, auf dem er selber steht. Er hat sowohl mit seinem eigenen Gewicht als auch mit dem Gewicht des Brettes zu kämpfen.

Es ist viel leichter, die Last eines anderen zu tragen, weil wir Distanz zu seinen Problemen besitzen. Wir können diese Probleme sachlich und gedankenvoll in Augenschein nehmen. Wir können ihm aufzeigen, wo er sich selbst im Weg steht, ihn darauf verweisen, das Problem an seiner Seite anzupacken und es uns zu überlassen, das andere Ende in die Hand zu nehmen. Wenn das Gewicht zwischen uns beiden verteilt wird, dann läßt es sich relativ leicht bewältigen.

Gedanken zum 29. Oktober

Wir Menschen sind kein bißchen wunderbarer als die ursprünglichen Affen. Uns fehlen sogar einige Kräfte, die wir im Tierreich finden - zum Beispiel können wir nicht willkürlich die Farbe wechseln, wie einige Reptilien. Wir können unseren Körperbau nicht verändern, so wie die Kaulquappe, aus der ein Frosch wird, oder wie die Raupe, die sich in einen Schmetterling verwandelt.

Und doch sind wir das Wunderbarste von allen Wundern, denn nur wir besitzen eine Seele, die uns befähigt, die Grenzen unseres Planeten zu überschreiten und uns mit Gott selbst zu vereinigen.

Gedanken zum 30. Oktober

Alles, was wir heute besitzen, gehört uns nur aufgrund der Gnade Gottes. Selbst wenn wir all unsere Besitztümer durch unsere eigene Industrie und unseren eigenen Verstand erworben haben, müssen wir dennoch zugeben, daß wir uns diese Begabungen, mit denen wir das erreichen konnten, nicht selbst gegeben haben.

Es handelt sich hier keineswegs um notwendigerweise ererbte Charakterzüge, denn selbst Genies haben schon Idioten gezeugt. Du hast, was du hast, weil Gott es so wollte, also benutze es auch so, wie Gott es gutheißen würde.

Gedanken zum 31. Oktober

Die Gründer von AA handelten weise, als sie festlegten, daß es keine Bonzen in unserer Gemeinschaft geben solle. Wenn es darum geht, schwerwiegende Verantwortung zu tragen, gehören wir nicht gerade zu den Menschen, die sich am Besten dafür eignen. Das hat schon oft den Charakter von guten Mitgliedern vergiftet.

Es ist auch nicht so dringend notwendig, daß sich dein Ruhm über die ganze Welt ausbreitet -- schließlich gibt es in deiner eigenen Nachbarschaft so viele Säufer, daß du nicht einmal ihnen hinreichend helfen kannst.

Index | August | September

1998-09-15